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Mexiko |

Im Wartesaal der Hoffnung

„Wir zeigen den Gringos, wie hart wir Honduraner anpacken können", sind diese jungen Männer überzeugt, die sich in Juchitán einen Tag Pause gönnen. Foto: Klaus Ehringfeld
„Wir zeigen den Gringos, wie hart wir Honduraner anpacken können", sind diese jungen Männer überzeugt, die sich in Juchitán einen Tag Pause gönnen. Foto: Klaus Ehringfeld

Laufen. Immer weiter. So weit die Füße tragen, oder so lange die Schuhe halten. Jaime Arguera trägt schon das zweite Paar Crocs, seit er vor drei Wochen daheim in Usulután in El Salvador mit Frau und Kindern aufgebrochen ist. „Das erste war gleich nach der Grenze zu Mexiko durch“.

Arguera, 30, rotes T-Shirt, Baseball-Cap, schiebt den Buggy mit seinem Sohn Isaia (2) vor sich her. Seine Frau Marlene hält die vierjährige Tochter Naomi an der Hand. In der anderen trägt sie einen Wasserkanister. Die Familie hat die Nacht hier in Juchitán in einer Pension verbracht, damit die Kinder mal richtig schlafen können. Jetzt suchen sie in dem großen Migrantencamp am Rande der Stadt im mexikanischen Bundestaat Oaxaca ihre Freunde, mit denen sie diesen langen Marsch in ein besseres Leben gemeinsam machen.

7.200 vor allem Honduraner, Salvadorianer und Guatemalteken ziehen dieser Tage durch Mexiko in Richtung USA. Wenn sie über die Landstraßen von Chiapas und Oaxaca marschieren, zieht sich der Treck manchmal bis zu 20 Kilometer in die Länge. So sind die Migranten nicht zu übersehen, so fühlen sie sich stark, so fühlen sie sich unverwundbar. Die meisten haben Mitte Oktober alles stehen und liegen lassen, als sie in den Fernsehnachrichten von der Karawane hörten, die sich formierte. „Das war eine Entscheidung von jetzt auf gleich“, erzählt Jaime Arguera.

Todesdrohung zwingt Familie zur Flucht

Er war früher in der Armee von El Salvador, dann arbeitete er in einer Eisenwarenhandlung, seine Frau kümmerte sich um die Kinder. Aber der Verdienst war zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. „Wir verdienen an einem Tag das, was man in den USA in einer Stunde verdient“. Dann kamen die Maras, die Jugendbanden, die in Honduras, El Salvador und Guatemala die Menschen terrorisieren. Sie forderten von Jaime, dass er für sie arbeitet und ihnen Kriegstaktiken beibringt. „Als ich ablehnte, sagten sie mir, sie würden meine Familie töten“. Da war die Entscheidung zu gehen gefallen. Und am 12. Oktober, als sie von der Karawane hörten, war auch die Gelegenheit da.

Seither stehen Jaime und seine Familie wie die Tausenden anderen fast jeden Morgen um drei Uhr auf, wenn die Nächte noch mild und pechschwarz sind. Dann falten sie ihren Karton zusammen, rollen ihren Schaumstoff auf, stecken die Planen weg, die als Schutz vor Regen dienen oder nur ein bisschen Privatheit bieten. 7.200 Menschen strecken die Glieder, schultern den Rucksack, schnallen die Kinder im Kinderwagen fest. 1.000 Kinder unter 16 Jahren sollen in dem Treck sein, 29 schwangere Frauen. Sogar ein Baby wurde gerade in Juchitán geboren. Selbst Amputierte gehen mit, auch ein Rollstuhlfahrer ist dabei. Das ist keine Migrantenkarawane, das ist ein Exodus.

Keine Karawane, sondern ein Exodus

Täglich marschieren sie mal 40 Kilometer, mal 60, fast immer zu Fuß. Und wenn erst die Sonne aufgeht, dann meist in sengender Hitze. Die Jüngeren hängen sich dann wie Fledermäuse an LKWs, mal hält ein Auto und nimmt die Schwächsten ein paar Kilometer mit. Jeder Meter zählt, denn der Weg ist weit. 1.500, vielleicht 2.000 Kilometer liegen noch vor ihnen bis ins gelobte Land, je nach Route. Und je näher sie den USA kommen, desto wütender wird Präsident Donald Trump. Jetzt will er sogar auf diejenigen schießen lassen, die es bis zur Grenze schaffen.

Er nennt die Migranten „bad people“, schlechte Menschen, sie seien Verbrecher und Drogenhändler. Auch hätten sich Terroristen des „Islamischen Staats" in den Treck geschmuggelt. Beweise legt er dafür keine vor. Aber in den USA ist Wahlkampf, da nimmt man es mit der Wahrheit nicht so genau. Hauptsache es macht Angst und sichert so Stimmen.

Trumps Drohungen laufen ins Leere

Die Menschen in der Karawane hören von den Drohungen und Beschimpfungen und geben sie auf den langen Wanderungen von vorne nach hinten und von hinten nach vorne weiter. Es ist wie eine stille Post. Aber die Migranten spornen Trumps Worte nur noch mehr an. Chilango, Edgar und ihre vier Kumpels zum Beispiel. Die sechs Honduraner haben sich auf dem Treck getroffen, und jetzt laufen sie gemeinsam. Sie sind zwischen 19 und 32 Jahre und sagen, Trump solle ihnen die Grenze öffnen und Arbeit geben: „Wir machen keinen Stress. Wir zeigen den Gringos, wie hart wir Honduraner anpacken können.“ Ihre Regierung daheim sei „Müll“, die nähme die Hilfsgelder aus Washington, aber gäbe den Menschen davon nichts ab. „Die Regierung ist schlimmer als die Maras.“ Auch wenn sie ihre Familien zurückgelassen haben, sind sie von ihrem Weg überzeugt: „Wir sind zuhause schlechter dran als hier in der Karawane. Die Not ist so groß, dass Du alles in Kauf nimmst.“

So komisch es klingt, aber jeder, mit dem man spricht, erzählt einem etwas Ähnliches. Die allermeisten haben nichts zu verlieren, sie haben schon alles verloren. Omar (39), der Maurer aus Villa Nueva de Cortés sagt, er fühle sich befreit in der Karawane, auch wenn er alleine laufe. Yesman Domínguez, der 24-Jährige aus San Pedro Sula, einer der gewalttätigsten Städte der Welt, nennt die Karawane seine „Hoffnung“. Und Gloria Barrera, die aus einem Dorf stammt, nimmt trotz entzündeter Achillessehnen und ihren 58 Jahren jeden Morgen die Tortur des Marsches in Badelatschen auf sich. „Es geht nur vorwärts, nicht zurück“ sagt sie. Alle drei flüchten aus ihrer Heimat Honduras, weil dort 60 Prozent der Menschen unter der Armutsgrenze leben und in ihren Elendsvierteln die Banden ihre Terrorherrschaft errichtet haben.

Hilfsorganisationen versorgen Kranke und Verletzte

Daher überwinden sie und alle anderen Grenzen, physische und emotionale. Die Migranten seien „außergewöhnlich stark“, sagt Manuel Valenzuela ein US-Arzt, der für eine Woche als Freiwilliger gekommen ist, um in der Karawane zu helfen. Hier in Juchitán ist mal Zeit für medizinische Versorgung, weil die Flüchtlinge nicht wie andernorts versprengt in Parks, auf Plätzen und Bürgersteigen campieren, sondern zum ersten Mal zusammen auf einem Gelände sind, das so groß ist wie vier Fußballfelder und mal ein Busbahnhof werden sollte. Jetzt wirkt es wie ein Wartesaal der Hoffnung.

Das Rote Kreuz, das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR, die mexikanische Menschenrechtskommission und Save the Children haben Position bezogen. Es gibt eine mobile Krankenstation, wo die wunden Füße versorgt, die Hitzschläge behandelt und die müden Muskeln gepflegt werden. Die Stadt hat blaue Dixie-Klos gestellt. Selbst ein Friseur bietet seine Dienste an. Immer wieder fahren Pick-Ups mit Essen und Wasser vor. Erstmals auf dieser langen Reise, auf der viele schon fast 1.000 Kilometer absolviert haben, bleibt ein Tag für Ruhe, für Karten- oder Fußballspielen, für Wäsche waschen und Schuhe reparieren. Oder einfach nur fürs Schlafen. Bei Einbruch der Dämmerung fährt ein mobiles Kino vor und entführt die Menschen für einen kurzen Moment in eine heile Welt, bevor wenige Stunden später der Tross in Richtung Veracruz aufbricht.

Kaum einer der Menschen weiß, was vor ihnen liegt, wohin die Reise sie führt, nur wenige haben einen Anlaufpunkt in den USA, einen Verwandten, Freund oder Freundin. Aber alle wissen, was hinter ihnen liegt. Und dass sie da nie wieder hin zurückwollen.

Migration in der Gruppe schützt vor Gefahren

Diese zentralamerikanische Migration ist keineswegs neu. Sie ist die älteste Wanderungsbewegung im modernen Lateinamerika. 200.000 bis 300.000 Honduraner, Salvadorianer, Nicaraguaner und Guatemalteken verlassen nach Schätzungen von Hilfsorganisationen jedes Jahr ihre Heimat, von den USA despektierlich „Hinterhof“ genannt. 700 Menschen also schnürten schon vor dieser Karawane täglich ihr Bündel und machten sich auf den gefährlichen und langen Weg gen Norden. Nur wanderten sie in kleinen Gruppen, heimlich, versteckt und auf Zügen und nicht im kilometerlangen Treck in großer Gruppe gemeinsam. Aber so entgehen sie den Kartellen und den mexikanischen Sicherheitskräften, so schützen sich die Frauen vor Vergewaltigung durch Mitglieder der Organisierten Kriminalität, so vermeiden die jungen Männer die Rekrutierung durch die Kartelle, die ständig Nachwuchs für ihr tödliches Geschäft brauchen. Vielleicht wütet Trump auch deshalb so, weil er weiß: Schafft es diese Karawane zur Grenze, dann wird das die neue Form der Migration durch Mexiko Richtung USA werden. Schon jetzt ist eine zweite Karawane unten in Chiapas auf dem Weg nach Norden. Eine dritte will schon bald die Grenze zu Mexiko passieren.

Für Jaime Arguera kann der US-Präsident so viel drohen und toben, wie er will. „Das, was Trump uns an den Kopf wirft, lassen meine Familie und ich außer Acht. Das letzte Wort hat sowieso Gott.“

Autor: Klaus Ehringfeld

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