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Hausangestellte in Lateinamerika: Entrechtet in der Corona-Pandemie

Millionen von Hausangestellten in Lateinamerika gehören zu den Verliererinnen und Verlierern der Corona-Pandemie, mahnt die Internationale Arbeitsorganisation (ILO). Zwischen Mexiko und Chile wurden viele der meist weiblichen Hausangestellten entlassen, andere wurden genötigt, mehr und quasi kaserniert zu arbeiten. Das Grundproblem ist, dass die Arbeit der Hausangestellten trotz einer ILO-Konvention kaum gesetzlich geregelt ist. Ein Manko, das nicht nur in Peru und Mexiko zu prekären Verhältnissen führt.

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Vitalina Vazquez, Altenpflegerin aus Ecuador, serviert das Mittagessen in einem Privathaushalt bei einem blinden Mann. Archivbild (Spanien 200&): Adveniat/Achim Pohl

Drei Tage vor der Verabschiedung des Decreto Legislativo No. 1499 wurde Sofia Basilio ins Arbeitsministerium eingeladen. „Bei dem Treffen ging es um die Situation der Hausangestellten in Peru. Doch von dem Gesetz erfuhren wir erst drei Tage später aus der Presse“, sagt die Direktorin der „Casa de Panchita“, einer Anlaufstelle für Hausangestellte in Lima. Das Zentrum engagiert sich seit mehr als zwanzig Jahren für die Rechte der überwiegend weiblichen Hausangestellten in Peru, bietet Schulungen, aber auch rechtliche Beratungen an. Sofia Basilio hat als Minderjährige in dem Haushalt einer fremden Familie angefangen zu arbeiten, sich weiter gebildet und dreißig Jahre später den Absprung als Hausangestellte gefunden. Heute gehört sie zu den Fachleuten, die ins Ministerium eingeladen werden, wenn es darum geht, über Gesetzesvorhaben zu informieren. „Doch nach wie vor werden wir nicht als gleichberechtigte Gesprächspartner ernst genommen. Das zeigt die Tatsache, dass zwar Gesetze verändert werden, aber nicht mit uns diskutiert wird, wie sich das am besten realisieren lässt“, ärgert sich Basilio.

Das Dekret 1499 ist dafür das beste Beispiel. Das Gesetz soll die Arbeitsbedingungen von geschätzt 500 bis eine Million Hausangestellten verbessern, sie den Vorgaben der ILO-Konvention 189 anpassen, die im Juni 2011 verabschiedet wurde. Peru hat das Abkommen im November 2018 ratifiziert und sich verpflichtet, es im nationalen Recht zu verankern. Doch damit tut sich die Regierung mitten in der Corona-Pandemie schwer, denn ein zentrales Element wurde vergessen. „Der Mindestlohn – es wurde nicht definiert, dass die Hausangestellten ihn fortan erhalten sollen. In dem Abkommen heißt es, dass die Verträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern ausgehandelt werden und schriftlich verfasst werden müssen. Das ist ein Fortschritt, aber er greift zu kurz“, ärgert sich Basilio über die Mitarbeiter im Ministerium. Diese agierten genauso wie die Abgeordneten und würden auftreten, als seien sie selbst Arbeitgeber. Als Politiker müssten sie sich dafür engagieren, einen ganzen Berufsstand aus der Informalität und Ausbeutung zu holen, kritisiert Basilio.

Die Zahlen geben ihr Recht, denn 92 Prozent der Hausangestellten hatten vor dem Auftreten des Coronavirus keine schriftlichen, sondern mündliche Arbeitsverträge. Die Krise hat die Hausangestellten, die zu mehr als 90 Prozent Frauen sind, voll erwischt. Zehntausende wurden entlassen. „Verlässliche Zahlen gibt es nicht, nur Schätzungen“, meint Basilio. Die „Casa Panchita“ hat Umfragen in verschiedenen Stadtteilen Limas gemacht und die Quote der Entlassungen lagen bei 86 Prozent. Das vermittelt zwar nicht mehr als einen Eindruck, belegt aber, was Gewerkschaften in ganz Lateinamerika kritisieren: die Ignoranz der Arbeitgeber in der Pandemie.

„Entlassung oder Kasernierung“ 
 
Entlassung oder Kasernierung lautet die Wahl, vor die viele Hausangestellte in Lateinamerika gestellt werden. Entweder sie leben mit der Familie, für die sie arbeiten, gehen nicht vor die Tür, um das Infektionsrisiko so gering wie möglich zu halten, oder sie verlieren den Job, schildert Sofia Basilio das Vorgehen vieler Arbeitgeber in Peru, das exemplarisch für den Umgang mit Hausangestellten in Lateinamerika steht. „Die Arbeitgeber setzen sich fast überall über die Rechte der Hausangestellten hinweg, agieren wie im letzten Jahrhundert“, kritisiert sie. In Mexiko sind die Gesetze zum Schutz der Rechte von Hausangestellten erst seit dem Mai 2019 in Kraft. „Viele Arbeitgeber wissen davon nichts, andere setzen sich bewusst darüber hinweg und ignorieren die Rechte ihrer Angestellten“, sagt Marcelina Bautista. Sie engagiert sich lateinamerikaweit für die Ratifizierung und Implementierung der ILO-Konvention 189 und hat vor zehn Jahren bereits für die Verabschiedung einer solchen Konvention gekämpft. Die haben Peru und Mexiko erst in den letzten 18 Monaten ratifiziert, aber bisher fehlt die Implementierung in nationales Recht und damit auch Sanktionsmöglichkeiten. 

Das rächt sich in der Pandemie. Schutzmaterialien wie Masken und Handschuhe haben viele Hausangestellte in Peru und Mexiko nur selten erhalten. Viele der Arbeitgeber schreiben ihren Angestellten vor, dass sie das Haus oder die Wohnung partout nicht verlassen dürfen, um ihre eigene Familie nicht zu gefährden. „De facto sind das sklavenähnliche Zustände“, kritisiert Marcelina Bautista, die auch mit Sofia Basilio vernetzt ist und hofft genauso wie die Kollegin in Lima auf gesetzliche Nachbesserungen. Doch die Hoffnungen sind nicht allzu groß, denn die Regierungen in beiden Ländern haben derzeit alle Hände voll mit der Bekämpfung des grassierenden Corona-Virus zu tun. „Wir Hausangestellten sind nicht sichtbar, viele erhalten in Peru keine staatliche Unterstützung in Form der Bonos. Dabei sind sie als informelle Arbeitskräfte ohne Verträge extrem verletzlich“, kritisiert Basilio. Das ist in Mexiko nicht viel anders. 

Immerhin gibt es in Peru einen Hoffnungsschimmer. Das Decreto Legislativo No. 1499 legt Standards für die Anstellung von Haushaltshilfen fest. Neben dem obligatorischen Arbeitsvertrag steht fortan jegliche Diskriminierung unter Strafe. Das ist ein Fortschritt, aber bisher gibt es keine Verordnung, die Sanktionen festlegt. Ein Manko, dass in Mexiko auch besteht. Nicht nur in diesen beiden Ländern tun sich die Regierungen schwer, die ILO-Konvention 189 in nationales Recht zu implemtieren, so Bautista. Deshalb arbeitet sie an Kampagnen, um auf die Situation der Hausangestellten aufmerksam zu machen, genauso wie Sofia Basilio in der „Casa de Panchita“. 

Autor: Knut Henkel

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