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Filmkritik: Von Umbrüchen, Geistern und Kontinuitäten

Szene aus dem brasilianischen Spielfilm "Todos os mortos", der im Rahmen des Internationalen Wettbewerbs der Berlinale zu sehen ist. Foto: Hélène Louvart/Dezenove Som e Imagens

Kaffeebohnen werden in einer Pfanne über einem offenen Feuer geröstet. Dann zerkleinert die alte Hausdienerin Josefina (Alaíde Costa) die Bohnen mit einer Handmühle und gießt den Kaffee auf. Mit diesen Bildern beginnt der brasilianische Spielfilm „Todos os mortos“ (dt.: All die Toten), der am Sonntag im Wettbewerb der Berlinale Weltpremiere feierte. Als Regen einsetzt, stimmt Josefina ein Lied über die Wassergötter an. Wenig später ist sie tot, und die Plantagenbesitzerfamilie Soares muss sich ihren Kaffee nun selber zubereiten. 

"Warum lassen uns die Toten nicht allein?"

Brasilien im Jahr 1899. Die Familie Soares steht kurz nach der Abschaffung der Sklaverei vor dem Ruin. Vom Patriarchen vom Landgut nach São Paulo geschickt, versuchen seine gebrechliche Frau Isabel (Thaia Perez) und seine beiden Töchter Maria (Clarissa Kiste) und Ana (Carolina Bianchi), sich den neuen Verhältnissen anzupassen. Was ihnen sichtlich schwer fällt. Während Maria sich in den Katholizismus flüchtet, zu einer strengen Nonne wird und erst später allmählich an ihren Glaubensüberzeugungen zweifelt, spielt Ana obsessiv Klavier und vergräbt alles, was sie nicht mag und nicht in ihr Weltbild passt, im Garten. Dazu kommen Wahnvorstellungen: „Warum lassen sie uns nicht allein?“, fragt Ana ihre Schwester. Sie meint „all die Toten“ (Sklaven), die sie täglich im Haus zu sehen wähnt. 

„Todos os mortos“ ist die erste gemeinsame Regiearbeit von Caetano Gotardo und Marco Dutra. In einem gemächlichen Rhythmus entwickelt sich ihr Film mit langen Dialogen in einem düsteren kammerspielartigen Setting, das überwiegend in dem Stadthaus der Soares-Familie spielt. Als Maria nicht mehr weiter weiß, wie sie ihrer psychotischen Schwester Ana helfen kann, will sie Iná (Mawusi Tulani) in die Stadt holen. Iná war früher Sklavin auf der Kaffeeplantage – und jetzt soll sie Ana ein Ritual ihrer afrikanischen Ahnen „vorspielen“, um Ana und vielleicht auch die Geister der Toten zu beruhigen. Obwohl Iná von dem Anliegen empört ist, beugt sie sich schließlich dem Druck. Fortan folgt man Iná und ihrem Sohn João in einem zweiten Handlungsstrang dabei, wie sie sich in der Stadt durchschlagen.

Holzschnittartige Figuren in gesellschaftlichen Umbrüchen

Ob es jedoch eine gute Entscheidung von Gotardo und Dutra war, die gesellschaftlichen Umbrüche um die Jahrhundertwende und die daraus erwachsenden Konflikte auf das Spirituelle zu fokussieren, ist fraglich. Zu holzschnittartig erscheinen gerade auch die (weißen) Frauen in ihren Rollen. Dass Gotardo und Dutra mit ihrem Film auf – unbestreitbare – gesellschaftliche Kontinuitäten von der Sklaverei bis in die Jetztzeit abzielen, ist allzu offensichtlich; etwa auch dann, wenn die Darsteller und Darstellerinnen sich zum Ende hin plötzlich durch die Szenerie São Paulos von heute mit Wolkenkratzern im Hintergrund bewegen. Das Finale des Films, so viel sei verraten, kommt dann allerdings recht überraschend (wenn auch nicht wirklich überzeugend). 

Ob „Todos os mortos“ unter den neuen Bedingungen der Filmförderung in Brasilien aber überhaupt fertiggestellt worden wäre, ist dagegen mehr als fraglich. Ohne die Mittel der staatlichen Filmagentur Ancine hätten sie den Film nicht machen können, sagt Caetano Gotardo. Doch inzwischen hat Brasiliens rechtsradikale Regierung die Mittel der Agência Nacional de Cinema (Ancine) fast um die Hälfte gekürzt. Und für einen der vakanten Ancine-Führungsposten hat Präsident Jair Bolsonaro einen evangelikalen Pastor vorgeschlagen. 

Mittel für brasilianische Filmförderung um die Hälfte gekürzt

Für die Zukunft des brasilianischen Kinos ist darum das Schlimmste zu befürchten. Seit einigen Jahren wird es zwar auf internationalen Festivals gefeiert – 2019 gewann etwa das Drama „A vida invisível de Eurídice Gusmão“ („Die Sehnsucht der Schwestern Gusmão“) von Karim Aïnouz den Kritikerpreis in Cannes. Doch mit solch engagierten Filmen könnte es bald vorbei sein. 

„Todos os mortos“ (R.: Caetano Gotardo & Marco Dutra, Brasilien/Frankreich 2020) ist bei der Berlinale noch zwei Mal zu sehen: am Sa., 29. 2., um 17 Uhr im CinemaxX 7 (Potsdamer Str. 5, 10785 Berlin) und am So., 1. 3., um 16.45 Uhr im Friedrichstadt-Palast (Friedrichstr. 107, 10117 Berlin )

Autor: Ole Schulz

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