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Brasilien |

Erst der Schlamm, dann die Ungewissheit

Das Staudammunglück hat viele Orte zerstört - meterhoch begrub die Schlammwelle Wohnhäuser wie hier in Bento Rodrigues. Foto: Romerito Pontes, CC BY 2.0.
Das Staudammunglück hat viele Orte zerstört - meterhoch begrub die Schlammwelle Wohnhäuser wie hier in Bento Rodrigues. Foto: Romerito Pontes, CC BY 2.0.

Von Tcharle do Carmo Batistas Elternhaus ragen nur noch Mauerreste aus dem meterhohen, von der Sonne hart gebackenen Schlamm. Seine Matratze hängt hoch im Baum, der Holzrahmen seines Bettes steckt im Schlamm fest. "Das war mal mein Zimmer."

Sein Heimatdorf Paracatu de Baixo liegt 65 Kilometer unterhalb des am 5. November 2015 gebrochenen Damms des Bergbauunternehmens Samarco. Zwischen 35 und 65 Milliarden Liter Schlamm türmten sich zu einer bis zu 15 Meter hohen Welle auf, die dutzende Dörfer und 19 Menschen unter sich begrub. Vor Kurzem hat die Staatsanwaltschaft deshalb Klageschriften gegen 21 Manager und Ingenieure wegen Mordes eingereicht. Ob sie belangt werden können, ist aufgrund der lückenhaften Umweltgesetzgebung jedoch fraglich.

In der Kreisstadt Mariana gehört Tcharle einer Opferorganisation an, die um Entschädigungen kämpft. Samarco will Paracatu bis 2018 an einem anderen Ort wieder aufbauen. Bis dahin zahlen sie rund 3.000 Euro Soforthilfe pro Familie, dazu Essenspakete und ein monatliches Handgeld. Tatenlos säßen rund 300 Opferfamilien in Mariana in angemieteten Häusern, das Leben sei teuer und ungewohnt, sagt Tcharles ehemalige Nachbarin Luiza Queiroz. Sie würden angefeindet, seit Tausende Arbeitsplätze bei Samarco verloren gingen.

Entschädigungszahlung als neue Einnahmequelle

Die Stadt Mariana lebt zu 80 Prozent von den Steuereinnahmen des Unternehmens Samarco - das in den Augen vieler Mitbewohner durch die Opfer und ihre Entschädigungsansprüche zugrunde gerichtet wurde. Sie hätten sich am Unglück bereichert, sagen die Leute. Und es gibt Trittbrettfahrer, die Hilfsgelder abstauben wollen, sagt Tcharle. Er werde bedroht, soll vor den Behörden Unbekannte als Nachbarn ausgeben. "Überall sprießen neue Opfer aus dem Boden", sagt auch Valcileno Almeida de Souza von der Organisation für Staudammopfer "Movimento dos Atingidos por Barragens" (MAB).

Hilfe komme weder von der Bundesregierung noch von der Stadt. Anfang des Jahres hatte immerhin die Landesregierung mit Samarco eine außergerichtliche Einigung getroffen. Samarco sollte über die kommenden 15 Jahre rund sechs Milliarden Euro zahlen. Doch Brasiliens Umweltministerium schritt ein, will auf höhere Zahlungen klagen. Ein Fehler, glauben Experten, denn das könne Jahre dauern.

Regenzeit droht Schlamm aufzuwirbeln

Vor allem für die Reinigung des Flusses soll Samarco mehr zahlen. Über 650 Kilometer hatte der Schlamm den Fluss bis zur Atlantikmündung in eine orangene Brühe verwandelt. Flora und Fauna seien auf Jahrzehnte zerstört, so Biologen. Für sie stand fest, dass der Schlamm toxisch ist.

Die Fischer im Dorf Regencia an der Flussmündung sind sich da nicht so sicher. Das Flusswasser ist wieder klar. Fische und Krustentiere vermehrten sich normal, verseucht seien sie nicht, sagen die Fischer. Trotzdem darf nicht gefischt werden. Samarco zahlt zwar monatlich 400 Euro - früher hätten sie jedoch das Dreifache verdient.

"Wir haben im Meer rund um die Mündung erhöhte Schwermetallwerte gemessen", sagt Nilamon de Oliveira Leite von der Umweltbehörde ICMBio. Ob die mit dem Schlamm kamen oder bereits vorher im Fluss waren, könne man nicht sagen, es fehle an Studien. "Aber die Abwässer der Haushalte und Industrie wurden stets ungeklärt hier eingeleitet, wir haben den Fluss als Mülleimer benutzt." Zwar sei das Wasser derzeit klarer, der Schlamm auf den Grund abgesackt. Wenn demnächst die Regenzeit beginnt, dürfte jedoch neuer Schlamm aus den Bergen nachkommen.

Ungewisse Zukunft

Richtig geregnet hat es am Rio Doce seit zwei Jahren nicht mehr. Die Region erlebt eine historische Dürre. Sümpfe und Lagunen des einstigen Schwemmgebiets sind ausgetrocknet, die dichten Wälder abgeholzt. Seit Jahren siecht der Fluss dahin. Im Sterben liegt nun auch die Tourismusbranche in Regencia.

"Die Medien haben weltweit nur negativ berichtet, die Reporter wollen nur den Tod zeigen", sagt Luciana Cerqueira Lima Rodrigues da Cunha, Besitzerin eines Tourismusunternehmens. "Doch wir haben gesehen, wie die Natur sich regeneriert hat." Sie schimpft auf die Nichtregierungsorganisationen, die jedes Hautekzem auf den Schlamm schieben.

Ihr Mann wird energischer. "Ein Jahr ist vergangen, und nichts Konkretes ist geschehen, niemand weiß was", sagt Fabio Gama, Vizepräsident der Anwohnervereinigung von Regencia. "Wir wollen endlich Regierungsvertreter hier sehen, die sagen, was Sache ist. Und wir wollen endlich stichhaltige Analysen."

Quelle: KNA, Autor: Thomas Milz, Foto: Romerito Pontes,CC BY 2.0.

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