Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.
Brasilien |

Ende der Sklaverei vor 130 Jahren: Das ungeliebte Erbe

Bruder Xavier Plassat spricht mit Dona Juscelina Gomes dos Santos (86), Vorsitzende der Einwohnervereinigung der Quilombola-Gemeinde Dona Juscelina. Als Quilombo bezeichnete man zur Zeit der portugiesischen Herrschaft eine Niederlassung geflohener schwarzer Sklaven. (Foto: Kopp/Adveniat)
Bruder Xavier Plassat spricht mit Dona Juscelina Gomes dos Santos (86), Vorsitzende der Einwohnervereinigung der Quilombola-Gemeinde Dona Juscelina. Als Quilombo bezeichnete man zur Zeit der portugiesischen Herrschaft eine Niederlassung geflohener schwarzer Sklaven. (Foto: Kopp/Adveniat)

Die gute Nachricht: Sie seien ab sofort frei, sagte der Sklavenhalter zu seinen Sklaven. Die schlechte: Sie seien alle mit sofortiger Wirkung entlassen. Ab und zu hört man in Brasilien noch diesen alten Witz über die Sklavenbefreiung von vor 130 Jahren.

So zynisch er sein mag - er bringt das Schicksal vieler afrikanischer Sklaven und ihrer afrobrasilianischen Nachfahren auf den Punkt. Die "Pretos", wie man Menschen mit afrikanischen Wurzeln in Brasilien nennt - also die "Schwarzen" - wurden seinerzeit aus den Sklavenhütten entlassen und in die Favelas abgeschoben. "Wahre Gefängnisse unter freiem Himmel" nennt die schwarze Menschenrechtsaktivistin Monica Custodio die Armensiedlungen, in denen heute noch viele der Sklaven-Nachfahren festsitzen. "Deswegen feiern wir den 13. Mai auch nicht", sagt sie.

Wichtiger für Brasiliens "Black Community" ist der 20. November, der Todestag des schwarzen Sklavenanführers "Zumbi" (1655-95), seit 2002 als "Tag des schwarzen Bewusstseins" begangen. Dem weißen Brasilien fällt die Erinnerung jedoch schwer. Rios altes Hafenviertel, von der Unesco wegen seiner Bedeutung für die Sklavereigeschichte zum Welterbe erklärt, verfällt angesichts fehlender Unterstützung durch die Regierenden. Über 350 Jahre hatten die über den Atlantik verschleppten Afrikaner Portugals Überseekolonie am Laufen gehalten. Unter der unerbittlich brennenden Sonne Brasiliens schufteten sich die männlichen Sklaven auf den Feldern zu Tode, während ihre Frauen nicht selten von den weißen Plantagenbesitzern vergewaltigt und geschwängert wurden.

Kapitalismus funktionierte ohne Sklaven besser

Nichts ging ohne Sklaven. Ihre Haushalte ließen die Weißen von Sklavinnen führen, ihre Kinder von ihnen stillen und erziehen. Insgesamt wurden 5,8 Millionen Afrikaner nach Brasilien verschleppt, so viele wie in sonst kein anderes Land in Amerika. Doch ab der Mitte des 19. Jahrhunderts kündigte sich das Ende der Sklaverei an. England verbot Brasilien 1845 mit dem "Aberdeen Act" den transatlantischen Sklavenhandel. Auf den Plantagen ersetzte man daraufhin zusehends die widerspenstigen Sklaven durch effizientere europäische Einwanderer. Der Kapitalismus funktionierte ohne Sklaven besser. So endete Brasiliens Sklaverei nicht, wie in den USA, durch einen Bürgerkrieg, oder wie in Haiti durch eine Revolte der Sklaven. Die weiße Elite selbst erklärte sie für obsolet.

Genauso überflüssig waren damit die Sklaven, die ohne eine Entschädigung entlassen wurden, ohne ein Stück Land, ohne Bildung, ohne eine Bleibe. Jeder zehnte Brasilianer, so schätzt man, lebt heute noch in Slums, verdammt dazu, weiter auf eine Chance im eigenen Land zu warten. Trotzdem verneinten die Brasilianer stets, dass ihr Land rassistisch sei. Vielleicht aus Scham, vielleicht aus Blindheit? Obwohl die Schwarzen über die Hälfte der Bevölkerung stellen, sind sie in gesellschaftlichen Spitzenpositionen nicht anzutreffen. Wer eine helle Hautfarbe hat, verdient 30 Prozent über dem Durchschnittslohn, wer eine dunkle hat, 30 Prozent darunter. Zudem sind zwei Drittel aller Gefängnisinsassen junge Schwarze. Und immer noch gibt es Sklaven. Seitdem die Regierung 1995 ein Gesetz gegen Sklavenarbeit verabschiedete, zählte die katholische Landpastoral rund 55.000 Fälle. An die Stelle der Fußketten sind dabei wirtschaftliche Abhängigkeiten getreten. Aus Mangel an Alternativen wird auf Viehweiden oder an Holzkohlemeilern für Essen oder einen Schlafplatz geschuftet.

Der Widerstand der Frauen

Doch zunehmend regt sich Widerstand gegen die soziale Ausgrenzung. Besonders dunkelhäutige Frauen drängen an die Öffentlichkeit, legen ihren eigenen Standpunkt dar. Sie profitieren davon, dass Präsident Luiz Inacio Lula da Silva (2003-2010) die Zulassung zu Universitäten für Studenten aus armen Familien stark vereinfachte. Leitfigur der neuen Zeit ist die im März vermutlich von korrupten Polizisten ermordete Stadträtin Marielle Franco. Eine schwarze Frau, lesbisch und in einer Favela geboren, früh zur allein erziehenden Mutter geworden, das Studium über den zweiten Bildungsweg erlangt. Franco steht für den Kampf gegen Rassismus und Machismus, die aus der Sklavenzeit stammenden, immer noch tragenden Säulen der brasilianischen Gesellschaft. Nach 130 Jahren wäre es an der Zeit, sie endlich einzureißen.

Autor: Thomas Milz (KNA)

Cookie Einstellungen

Erforderliche Cookies sind für den reibungslosen Betrieb der Website zuständig, indem sie Kernfunktionalitäten ermöglichen, ohne die unsere Website nicht richtig funktioniert. Diese Cookies können nur über Ihre Browser-Einstellungen deaktiviert werden.

Anbieter:

Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.

Datenschutz

Marketing-Cookies werden verwendet, um Besuchern auf Webseiten zu folgen. Die Absicht ist, Anzeigen zu zeigen, die relevant und ansprechend für den einzelnen Benutzer sind und daher wertvoller für Publisher und werbetreibende Drittparteien sind.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz

Statistik-Cookies dienen der Analyse und helfen uns dabei zu verstehen, wie Besucher mit unserer Website interagieren, indem Informationen anonymisiert gesammelt werden. Auf Basis dieser Informationen können wir unsere Website für Sie weiter verbessern und optimieren.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz