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Bolivien |

Einmal Hölle und zurück

Potosi. Der Eintritt in die Hölle kostet fünf Dynamitstangen, zwei Handvoll Koka-Blätter, ein paar Zigaretten und eine Flasche Alkohol. Zu besorgen in den Läden direkt am Fuß des "Cerro Rico". So heißt der berühmt-berüchtigte Silberberg im bolivianischen Andenhochland, dessen Schätze den spanischen Kolonialherren im 16. und 17. Jahrhundert zu unermesslichem Reichtum verhalfen - und gleichzeitig Hunderttausende indigener Zwangsarbeiter in den Tod trieben. Die Ausbeute muss gigantisch gewesen sein. Angeblich wurden selbst die Straßen mit Silber gepflastert. Zeitweilig trug Potosi den Titel "reichste Stadt der Welt" - gleichauf mit London, Paris oder Venedig.

Heute geht es in der Hauptstadt des gleichnamigen Departements bescheidener zu. Im Zentrum blättert der Putz von den farbenprächtigen Kolonialbauten. Viele Kirchen halten ihre von Blattgold überzogenen Altäre und Heiligenbilder hinter schweren Türen unter Verschluss. Oft fehlt es an Geld, das kulturelle Erbe angemessen zu präsentieren oder instandzuhalten. Nur eines hat sich nicht verändert. Immer noch thront der 4.800 Meter hohe Cerro Rico wie ein drohender Schatten über Potosi. Und immer noch schürfen in der kahlen Felspyramide Menschen unter Einsatz ihres Lebens nach Silber und Zink. Rund 300 Eingänge führen in das Innere des Berges, der nach Jahrhunderten der Ausbeutung durchlöchert ist wie ein Schweizer Käse.

Anders als zu Zeiten der spanischen Konquistadoren haben die Mineros nun selbst die Regie beim Abbau - zumindest teilweise. Einzeln, in Kooperativen oder für die staatliche Bergbaugesellschaft Comibol dringen sie tiefer und tiefer ins Erdreich ein. Auf der Suche nach den immer seltener werdenden Rohstoffen, deren Preise auf dem Weltmarkt starken Schwankungen ausgesetzt sind. Trotzdem bleibt in der Region ein altes Sprichwort gültig, wie German Ugarte erzählt: "Heirate einen Minero - der hat viel Geld und stirbt früh." Der 43-Jährige weiß, wovon er redet. Er schuftet selbst unter Tage und führt, sozusagen im Nebenberuf, Touristen durch einen Teil des verzweigten Stollensystems.

"Wir lieben den Berg, er gehört zu uns", sagt German. Obwohl die Arbeit in den engen, maximal 1,70 Meter hohen Gängen auch heute noch jeden Tag ein Todesopfer fordert - meist aufgrund von Spätfolgen wie der berüchtigten Staublungenkrankheit. Jeder dritte von ihnen stirbt nach einem Unfall im Inneren des Cerro Rico. Kein Wunder, dass die durchschnittliche Lebenserwartung der geschätzt 11.000 aktiven Mineros bei gerade mal 50 Jahren liegt. Warum dennoch so gut wie keiner von ihnen ans Aufhören denkt, erklärt German mit einem Satz: "Weil es hier keine andere Arbeit gibt."

Etwa 80 Prozent der Bevölkerung sind vom "Schicksalsberg" abhängig; umgerechnet 35 Euro bringt ein Bergarbeiter im Monat nach Hause. Nicht gerade wenig in einem Land, in dem ein ausgebildeter Lehrer mit maximal 375 Euro pro Monat schon zu den Großverdienern gehört. Selbst die Kleinsten leben schon von dem, was der Cerro Rico abwirft. An den Mineneingängen verkaufen Vier- und Fünfjährige Erze an Touristen. Bevor es, zumindest für die Jungen, mit spätestens zwölf Jahren selbst in den Berg geht. "Wenn der Vater stirbt, machen seine Söhne da weiter, wo er aufgehört hat", umschreibt German das schonungslose Prinzip der Erbfolge in Potosi. Der Moloch frisst seine Kinder, auch über vier Jahrhunderte nach dem sagenumwobenen ersten Silberfund durch einen Einheimischen 1545.

Für die Mineros steht fest: "Gibt es den Berg nicht mehr, dann stirbt auch Potosi." Und so werden sie weiter ihren alten Göttern huldigen - und gleichzeitig zu Christus beten. "Doppelter Beistand, aus Sicherheitsgründen", wie German mit schwarzem Humor erklärt. Kurz vor dem Verlassen der Mine opfert er einen Teil der Kokablätter und einige Tropfen Alkohol einem gehörnten Fabelwesen namens Tiu, Herrscher der Unterwelt. Dynamit und Zigaretten teilt er unter seinen Kollegen auf, die schweigend im Bauch des Bergs verschwinden - während am Ende des Gangs schon wieder das Tageslicht schimmert.

Autor: Joachim Heinz (KNA)

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