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Ein Zauberer bitte?! - Argentinien vor der Wahl

In Buenos Aires stehen Menschen in Suppenküchen Schlange - und die Inflation treibt die Preise weiter nach oben. Kurz vor der Wahl in Argentinien zeigen sich die Fehlentwicklung der letzten Jahre. Wieso steckt Argentinien schon wieder in der Krise? 

(Symbolbild): Armenviertel in Buenos Aires 2012. Foto: Markus Matzel/Adveniat

"Argentinien braucht einen Zauberer, keinen Politiker." So spitzte kürzlich Pepe Mujica, der ehemalige Präsident von Uruguay, die Lage im Nachbarstaat zu. Denn Argentiniens Wirtschaft liegt kurz vor der Wahl am Boden - mit der höchsten Zahl an Arbeitslosen seit 14 Jahren und mehr als 35 Prozent der Bevölkerung, die unter Armutsgrenze lebt. Doch ein Zauberer ist nicht in Sicht.

Die Rückkehr zum "Kirchnerismus"? 

Alberto Fernández von der Peronistischen Partei gilt als klarer Favorit bei den Wahlen am Sonntag - Demoskopen gehen von einem deutlichen Sieg aus. Den Stimmungstest bei den Vorwahlen im August 2019 gewann er bereits mit 47 Prozent der Stimmen. Präsident Mauricio Macri wurde hingegen von den Wählern mit 32 Prozent abgestraft. Nach der Bekanntgabe des Ergebnisses kam es zu einer Erosion der Finanzmärkte: Der Kurs der Aktien brach zusammen, der Peso verlor im Vergleich zum Dollar in kurzer Zeit 20 Prozent seines Wertes.

Vor allem lag das an Fernández’ Co-Kandidatin für das Amt der Vizepräsidentin: Cristina Fernández de Kirchner regierte von 2007 bis 2015 das Land, zuvor vier Jahre lang ihr Mann Néstor. Ihr Triumph bei den Vorwahlen beschwor bei Investoren alte Geister herauf: Der „Kirchnerismus“, der auf eine rigorose Umverteilung der Einnahmen von oben nach unten setzte, galt als Schreck der Unternehmer. Die Tatsache, dass Kirchner politisch wieder mitspielt, versetzt Investoren in Alarmbereitschaft: Sie zogen Kapital aus dem Land ab. Alberto Fernández versuchte daraufhin, sich als gemäßigt linker Kandidat zu positionieren, um die Märkte zu beruhigen.  

Der weitere Kursverfall des Peso verstärkt jedoch die Angst, das Land könnte unter seiner enormen Schuldenlast ersticken - denn durch die Abwertung des Peso gegenüber dem US-Dollar wird es immer schwieriger, die Dollarschulden zu begleichen. Ratingagenturen wie Moody´s und Fitch stuften Argentiniens Kreditwürdigkeit daraufhin weiter herab - demnach steht Argentinien eine Stufe vor dem Zahlungsausfall. Damit die Anleger das Geld nicht außer Landes schaffen, führte die Regierung "Devisenkontrollen" ein. Größere Transaktionen müssen fortan von der Zentralbank genehmigt werden.

An der hohen Schuldenlast konnte auch der konservativ-wirtschaftsliberale Mauricio Macri in seinen vier Jahren Amtszeit nichts drehen. Im Gegenteil:  Im Jahr 2018 erhöhte sich die Neuverschuldung im Vergleich zum Vorjahr um rund 30 Prozent. Dabei ist Macri als großer Sanierer der Wirtschaft angetreten.

Das Versagen des Liberalismus 

Macri kam mit dem Versprechen ins Amt, er wolle für "Null Armut" sorgen. Zunächst versuchte er, das Vertrauen internationaler Geldgeber zurückzugewinnen und Schulden einzudämmen, indem er Subventionen strich. Mit der Folge, dass sich die Kosten des öffentlichen Nahverkehrs sowie von Gas und Strom verteuerten. Die höheren Preise kurbelten wiederum die Inflation an.

Später entglitt Macri die Entwicklung der Inflation völlig – zuletzt lag sie bei 55 Prozent. Vor allem die Mittelschicht und ärmere Argentinier treffen die Preiserhöhungen, die die Inflation verursacht. Das Land musste sogar den Lebensmittelnotstand ausrufen. Nach Informationen der Tagesschau reicht für 3,4 Millionen Argentinier ihr Geld nur für eine Mahlzeit am Tag. Die Schuldenlast zwang die Regierung auch zu weiteren Kürzungen bei den öffentlichen Ausgaben, wie bei der Bildung. Studenten, Dozenten und Gewerkschaften gingen daraufhin auf die Straße.

Macris verfehlte Reformen 

Kritiker bemängeln hingegen, dass Macri den Schuldenabbau zu zaghaft durchgeführt hätte - anfangs scheute er unpopuläre Steuerreformen. Argentinien-Expertin Mariana Llanos vom Giga-Institut in Hamburg erklärt gegenüber Blickpunkt-Lateinamerika allerdings, dass Macri die Hände gebunden gewesen seien: „Macri hat nur wenig ‚institutionelle Macht‘ gehabt, ihm fehlten die Mehrheiten in beiden Kammern, um seine Reformen durchzusetzen.“  Das war nicht sein einziges Problem: Laut Llanos „hat Macri die internationale Lage falsch eingeschätzt. Er dachte, die Investoren würden sich allein durch seine Person für Investitionen in Argentinien interessieren, doch sie kamen nicht.“ Vor allem Unternehmen, die langfristig in die Entwicklung der Industrie des Landes investieren, blieben aus. Darin ist auch die Abschottungspolitik des US-Präsidenten Donald Trump mitverantwortlich, die die Inventionen nach Argentinien hemmt. Zudem fehlten in der Staatskasse die für das Land wichtigen Erlöse aus Verkäufen von Rohstoffen - denn der Preis auf dem Weltmarkt für wichtige Exportgüter wie Soja war stark zurückgegangen.

Um trotz der fehlenden Geldquellen liquide zu bleiben, handelte er mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) einen Hilfskredit über 500 Milliarden Dollar aus. Im Gegenzug verpflichtete sich die Regierung das Defizit stärker zu reduzieren – weitere Kürzungen waren vorprogrammiert. Die Kredite des IWF rufen bei vielen Argentiniern böse Erinnerungen wach – der Fond wurde auch im Jahr 2001 vor der Staatspleite um Hilfe gerufen. Als das Land die Vorgaben nicht erfüllen konnte, verweigerte der IWF weitere Kredite. Die Folge war eine Kapitalflucht, die das Land in eine tiefe Krise stürzte und gewalttätige soziale Unruhen hervorrief.  

Die aktuelle wirtschaftliche Fehlentwicklung könnte Macri nun sein Amt kosten. Sollte Macri nicht doch noch überraschend aufholen, stünden seine Nachfolger, der peronistische Alberto Fernández und seine Vizepräsidenten Cristina Fernández de Kirchner vor einer Mammutaufgabe.

Wie geht es nach der Wahl weiter? 

Sie müssen gegen ein enormes Staatsdefizit kämpfen, das zu großen Teilen noch aus der Zeit der lockeren Geldpolitik der Kirchners stammt. Mariana Llanos vom Giga-Institut meint dazu: „Es ist klar, dass Fernández nicht die populistischen Maßnahmen der goldenen Jahre der Kirchners durchführen kann, das Geld existiert schlicht nicht. Damals profitierten die Kirchners stark von den hohen Rohstoffpreisen, die Geld in die Kassen brachten.“

Damit kann die neue Regierung nicht rechnen. Teure Umverteilungsprogramme ließen sich in der aktuellen Situation kaum finanzieren. Das stellt Argentinien vor eine bittere Realität: Das Sparen geht weiter – es sei denn, es gelinge Fernández, einen Schuldenschnitt durchzusetzen. Ansonsten droht laut Ökonomen sogar eine Staatspleite, wie die NZZ berichtet. Auch Mariana Llanos‘ Blick in die Zukunft ist pessimistisch, sie sieht bereits die düsteren Wolken neuer Protestbewegungen heraufziehen - der Menschen, die von Sparmaßnahmen am meisten betroffen wären: die sozial Schwachen.

Autor: Julian Limmer (Quellen: Deutsche Welle, Handelsblatt, Tagesschau, NZZ) 

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