Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.
Honduras |

"€žDie Zeche zahlt das Volk"€?

Tegucigalpa. Ein gestürzter Präsident verschanzt in der brasilianischen Botschaft, einer de-facto auf Urlaub, und ein Haufen Anwärter aufs oberste Staatsamt – die Lage in Honduras ist etwas unübersichtlich seit dem Sturz von Präsident Manuel Zelaya im Juni und den vergeblichen Vermittlungsversuchen der internationalen Gemeinschaft. Neuwahlen sollen jetzt am Sonntag einen Ausweg aus der Staatskrise aufzeigen – zumindest wenn es nach der Putschregierung geht, hinter der die Elite des Landes steht. „Die politischen und wirtschaftlichen Kosten der ganzen Krise sind immens, wir brauchen jetzt eine Rückkehr zur Normalität. Wahlen, die eine neue Regierung legitimieren, sind der beste Weg dafür“, sagt der Direktor des honduranischen Unternehmerverbandes, Antonio Tavel. Und lässt im nächsten Satz auch gleich durchblicken, warum: „Die beiden aussichtsreichsten Kandidaten, Pepe Lobo von der Nationalen und Elvin Santos von der Liberalen Partei, gehören beide zur politischen Elite des Landes, haben viel Erfahrung und unterscheiden sich programmatisch nicht wesentlich.“

Genau das stört Esteban Matamoros. Der Bauer aus dem Umland von Tegucigalpa ist heute wie jeden Tag in die Hauptstadt gekommen, um vor dem Kongress gegen den Staatsstreich zu demonstrieren. “In Honduras sind die Gesetze und die Verfassung von Reichen für Reiche gemacht, sie wollen ihre Privilegien nicht mit dem Volk teilen“, wettert er. Eine Erklärung, warum sein Präsident gestürzt wurde, hat der 51jährige auch parat: „Er brachte billiges venezolanisches öl und kubanische Ärzte ins Land und hat damit die Geschäfte der Oligarchie durchkreuzt.“ Etwas, was Tavira natürlich ganz anders sieht: „Zelaya war korrupt, hat sich ins Fahrwasser des venezolanischen Sozialisten Hugo Chavez begeben, gegen Gesetze und die Verfassung verstoßen, nur, um trotz des Wiederwahlverbots an der Macht bleiben zu können. Seine Absetzung war legal, wenngleich seine Verfrachtung außer Landes es vielleicht nicht war.“

Eine Interpretation, die in Honduras durchaus Anhänger hat; der Rest der Welt verurteilte jedoch einhellig den Bruch der verfassungsmäßigen Ordnung. Auch auf den Mauern um den Kongress prangern Sätze wie „raus mit den Putschisten“ und „nein zur Wahlfarce“. Rund 100 Leute haben sich eingefunden, das Mikrophon wandert von Hand zu Hand, jeder, der möchte, kann seinem Unmut Luft machen. Viele tragen rote Fahnen und T-Shirts. „Das ist der einzige Ort, wo wir uns versammeln dürfen, Demonstrationsmärsche verbieten sie uns“, klagt der Automechaniker Miguel Angel Murillo. Seit 153 Tagen geht er auf die Strasse, um gegen den Sturz Zelayas zu protestieren und zum Boykott der Wahlen aufzurufen, die er für illegitim hält. Tränengas, Gummigeschosse und Schlagstöcke hat er überstanden. Es ist der vierte Putsch, den der 60jährige erlebt, und er hat „die Nase gestrichen voll von Militärs“. Ein jugendlicher Rekrut in Uniform und mit Sturmgewehr, der mit seinen Kameraden keine zehn Meter von Murillo entfernt Wache steht, blickt herüber. Der Kongress ist ebenso hermetisch abgeriegelt wie der Präsidentenpalast und die brasilianische Botschaft, in der sich Zelaya seit seiner heimlichen Rückkehr aus dem Exil Ende September verschanzt hält. Straßensperren erschweren Fahrten aufs Land.

Normalerweise sind Wahlen eine einzige Party in Honduras. Die beiden großen Parteien versuchen, sich mit Musikshows und Wahlgeschenken gegenseitig zu übertrumpfen. Doch diesmal ist die Stimmung gedrückt. Seit Wochen gehen immer wieder Sprengsätze in Bussen und vor Gebäuden hoch – gefasst wird nie jemand. Politiker, Militärs und Gewerkschafter, die mit dem Widerstand in Verbindung gebracht werden, werden ermordet, kritische Fernseh- und Radiosender ohne Vorankündigung geschlossen oder durchsucht, Gerüchte von geplanten Massakern am Wahltag machen die Runde. Das Land ist polarisiert, eingeschüchtert – und seiner politischen Klasse überdrüssig.

„Ich habe für Mel (Zelaya) gestimmt, aber wir Armen zahlen die Zeche für die Streiterein der Mächtigen“, klagt der Schuhputzer Miguel Angel Zapata im Einkaufszentrum Eldorado. Hier, im sterilen Plastiktempel des Massenkonsums, ist von der politischen Krise nichts zu spüren. Mit wild blinkenden Weihnachtsdekorationen versuchen die Geschäftsinhaber sich gegenseitig zu übertrumpfen. In der Mitte hat das Wahlgericht einen Stand aufgestellt, an dem sich die Bürger über ihr Wahllokal informieren können. Der eine oder andere nähert sich neugierig. Zapata will am Sonntag nicht wählen gehen – nicht aus Solidarität mit Mel, sondern aus Protest gegen die Politiker.

Ob die Wahlen letztlich einen Neuanfang bringen oder nur tiefer in die Krise führen ist nach Ansicht von europäischen Diplomaten noch nicht absehbar. Während Länder wie die USA, Kolumbien, Peru und Panama die Wahlen auf jeden Fall anerkennen wollen und andere Staaten wie Brasilien, Venezuela und Argentinien das vehement ablehnen, haben sich die Europäer noch nicht geäußert. „Es wird von der Wahlbeteiligung abhängen, vom Verlauf des Wahltages, der Glaubwürdigkeit der Ergebnisse und von der Entscheidung des Kongresses, der am Mittwoch über die Wiedereinsetzung Zelayas beraten soll “,sagt ein europäischer Diplomat. Unabhängige Beobachter, die über den Wahlverlauf Bericht erstatten, sind allerdings keine vor Ort. Letztlich wird das realpolitische Kalkül siegen, meint der Politologe Ruben Aguilar. „Und das läuft darauf hinaus, dass die neue Regierung anerkannt wird.“

Damit rechnen auch die Kandidaten Lobo und Santos. Beide versprechen eine „ nationale Aussöhnung“ – wohl ahnend, dass die Elite damit nochmals eine Chance bekämen, die viel zu lange aufgeschobenen sozialen und politischen Reformen in Angriff zu nehmen in einem Land, in dem 66 Prozent der 7,5 Millionen Einwohner arm sind. Eine Chancer, die auch die linke Partei „Demokratische Union“ beim Schopfe ergreifen will. Trotz des von Zelaya ausgegebenen Wahlboykotts, blieb sie im Rennen. „Es wäre dumm, uns selbst auszuschließen. Stattdessen werden wir innerhalb des Kongresses für eine verfassungsgebende Versammlung kämpfen“, verkündet ihr Sprecher Neptali Medina.

Autorin: Sandra Weiss

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