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Bolivien |

"Die Wut ist entfacht"

Nach dem Rücktritt von Präsident Morales bricht in Bolivien eine Welle der Gewalt aus. Wie erleben die Bewohner die Eskalation?

Marco Landivar bei einer Straßenblockade in Santa Cruz. Foto: Camilla Landbø/ Adveniat

«Ich habe noch nicht geschlafen, es ist mitten in der Nacht, wir haben uns verbarrikadiert», sagt Marco Landivar übermüdet am Montag um 4 Uhr. Erst hätten die Anhänger von Ex-Präsident Evo Morales in La Paz zu randalieren begonnen, Abends dann auch in Santa Cruz. Firmen, Busse, Geschäfte und Häuser von Politikern und Journalisten seien geplündert und in Brand gesetzt worden. «Meine Frau und ich, wir haben uns jetzt mit Küchenmesser, Pfannen und Besenstöcke bewaffnet.» Es sei schlimm.

Rücktritt von Morales sorgt nicht für Frieden

Er lebt mit seiner Familie in der südlichen Region Boliviens, in Santa Cruz, wo ein großer Teil der Opposition zu Hause ist. Seit den Präsidentschaftswahlen vom 20. Oktober kommt das südamerikanische Land nicht mehr zur Ruhe. Viele Menschen forderten in den letzten drei Wochen wegen möglichem Wahlbetrugs den Rücktritt ihres Staatschefs, so auch Landivar. «Ich ging jeden Tag blockieren, hier in Santa Cruz lief nichts mehr, keine Arbeit, keine Schule.»

Dann überschlugen sich die Ereignisse letzten Sonntag. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) veröffentlichte frühmorgens den erwarteten Bericht: In den Wahlen habe es massive Unregelmäßigkeiten und Manipulation gegeben. Daraufhin kündigte das Staatsoberhaupt Morales Neuwahlen an, aber im Verlauf des Tages nahmen Proteste und Rücktritte von Politikern zu, Morales-Anhänger wurden bedroht und das Militär verkündete, es werde nicht einschreiten. Am Nachmittag meldete sich Morales wieder: «Was hier passiert, ist ein Putsch.» Dann trat er zurück, «dem Frieden zuliebe».

Wider Erwarten geschah das Gegenteil: Zwar füllten sich die Straßen Boliviens erst mit feiernden und glücklichen Menschen über den Rücktritt. Dann aber, gegen Abend, brach eine Welle von Gewalt aus in La Paz. Die Anhänger von Morales, die nach wie vor fast die Hälfte der Landesbevölkerung ausmachen, fühlten sich betrogen und erniedrigt.

Das ist Rassismus

«Das verwundert mich überhaupt nicht, dass dies passiert ist», sagt José Maldonado aus La Paz. «Die Opposition ist in den Präsidentenpalast rein, hat die Bibel auf die bolivianische Fahne gelegt und dann die Wiphala, die Fahne, die die indigene Bevölkerung von Bolivien repräsentiert, draußen vor dem Palast verbrannt», sagt der 54-Jährige. «Das hätten sie nicht tun dürfen, das ist purer Rassismus.»

Maldonado lebt in einem eher ruhigeren, abgelegenen Stadtviertel von La Paz. Nichtsdestotrotz erlebt er die Unruhen der letzten Tage nahe. Schon vor dem Rücktritt von Morales riefen anonym Leute bei ihm an, die ihm und anderen Familienangehörigen drohten, wohl wissend, dass die Maldonados der Regierung von Morales gutgesinnt sind. «Das machte Angst», sagt der Kleinunternehmer und Theaterregisseur.

Das Schlimmste jedoch sei gewesen, so Maldonado, dass der stockreligiöse, rechtsgerichtete Oppositionsanführer Luis Fernando Camacho dann nach der Bibelgeschichte noch sagte, in diesen Palast komme keine Pachamama mehr rein. Die Pachamama – Mutter Erde – beten die Indigenen an. «Eine größere Beleidigung gegenüber den Indigene gibt es nicht, das war eine Kriegserklärung.»

Indigene Gruppen gehen auf die Straße

«Hier herrscht Chaos», sagt der 45-jährige Familienvater Landivar verzweifelt. Er hoffe einfach nur, dass sich die Lage bald wieder beruhige. Er besteht darauf: «Hier in Bolivien gab es keinen Putsch!» Morales wolle dies jedoch der Welt zu verstehen geben.

Maldonado sieht es ein wenig anders. Einerseits betrachtet er es auch als Problem, dass Morales mit allen Mitteln zum vierten Mal Staatschef werden wollte. Andererseits hätte seit den Wahlen die Opposition Fernsehkanäle besetzt, Gebäude der Wahlbehörde und Häuser von Bürgermeistern in Brand gesetzt und regierungsnahe Leute eingeschüchtert. «Die Ultrarechte im Land hat ihren Beitrag im Hintergrund geleistet», sodass sich die Situation in den letzten Wochen aufgewiegelt habe. «Ich mache mir große Sorgen, wie es mit Bolivien weitergeht. Wenn die Indigenen auf die Straßen gehen, wird es ungemütlich. «Die Wut ist entfacht.» Er sei sich sicher, dass sich die indigenen Bewegungen zusammenschließen und sich auf eine gewalttätige und unkontrollierte Weise dem Ganzen entgegensetzen werden.

Landivars und Maldonados Befürchtungen waren zu Recht. Am Montag versammelten sich Tausende Indigenas und Campesinos in El Alto, der Nachbarstadt von La Paz, um in die Regierungsstadt zu ziehen. Bewaffnet mit Macheten, Stöcken, Steinen und Schaufeln rannten und skandierten sie: «Jetzt ja, Bürgerkrieg!». Die Bewohner von La Paz verschanzten sich erneut völlig verängstigt in ihre Häuser. «Das ist der Terror!», sagt Maldonado. Im letzten Moment meldete sich das Militär, das sich bislang passiv zeigte, und teilte mit, dass sie die Nacht durch Wache halten werde. Da beruhigte sich die Lage vorerst.

Autorin: Camilla Landbø

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