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Brasilien |

Die Wahl der Fake News

Der Wahlkampf Bolsonaros mobilsiert seine Anhänger (Foto: picture-alliance/NurPhoto/C. Faga)
Der Wahlkampf Bolsonaros mobilsiert seine Anhänger (Foto: picture-alliance/NurPhoto/C. Faga)

Am Montag ordnete das Oberste Wahlgericht (TSE) an, dass der ultrarechte Präsidentschaftskandidat Jair Messias Bolsonaro aus seinen Facebook und Youtube-Accounts sechs Veröffentlichungen löschen müsse. Sie alle sind gegen seinen Widersacher in der anstehenden Stichwahl, Fernando Haddad von der linken Arbeiterpartei PT, gerichtet. Der soll diesen Tweets zufolge während seiner Zeit als Bildungsminister (2005-2012) versucht haben, mit tendenziösen Aufklärungsheften sechsjährige Schüler zu Homosexuellen umzupolen.

 

Das "Kit Gay", das Bolsonaro seit zwei Jahren in Videos und Fernsehauftritten als Beweis hochhält, kennt nahezu jeder in Brasilien. Doch bei der Geschichte handelt es sich um Fake News. Nun, dreizehn Tage vor der Stichwahl, hat das TSE gehandelt. Weiterhin zirkulieren jedoch Gerüchte wie die, dass Haddad Inzest und Pädophilie legalisieren wolle. Laut Umfragen liegt Haddad derzeit 18 Prozentpunkte hinter Bolsonaro. Die Welle von Fake News sei direkt für die hohe Unbeliebtheit von Haddad verantwortlich, urteilte der brasilianische Journalist Kennedy Alencar am Montag in seinem Blog.

 

Überfordertes Wahlgericht

 

Vor den Wahlen hatte das TSE angekündigt, hart gegen Fake News vorzugehen. Richter Luiz Fux drohte gar, Kandidaten von den Wahlen auszuschließen. Doch am Abend des ersten Wahlgangs streute das Bolsonaro-Lager ganz offen Fake News über angebliche Wahlmanipulationen, ohne dafür belangt zu werden. Am Montag soll Fux laut der Zeitung "Folha de São Paulo" intern das Versagen des TSE eingestanden haben. Seine Nachfolgerin Rosa Weber bemüht sich derweil immer noch um eine Erklärung beider Kandidaten zum Bann von Fake News.

 

"Mir war klar, dass das Gericht überhaupt nicht vorbereitet war", so der Soziologe Marco Aurelio Ruediger, Direktor des Big Data Analysezentrums DAPP der Fundação Getúlio Vargas (FGV-RJ), gegenüber der DW. Seine seit Jahren vorgetragenen Warnungen habe man in den Wind geschlagen. "Es ist nicht so, dass sie es nicht wussten. Ich glaube, dass das Gericht einfach nicht wahrhaben wollte, welche Ausmaße und welchen Einfluss das haben würde." Angesichts der Masse an dubiosen Veröffentlichungen hat die Staatsanwaltschaft nun Ermittlungen aufgenommen. "Laut Wahlgesetz ist es verboten, jemanden mit der Verbreitung von negativen Inhalten im Internet zu beauftragen", so Staatsanwalt Humberto Jacques de Medeiros gegenüber dem Portal UOL. Er vermutet eine regelrechte Industrie hinter dem Phänomen.

 

Auch die FGV ermittelte einen massiven Einsatz von Bots, deren Spuren teilweise bis nach Venezuela und Russland führen. "Brasilien ist zum Schlachtfeld der Ideologien geworden. Nicht nur der Rechten, sondern auch der Linken." Die einzige Chance gegen die Massenproduktion von Fake News sei es, eine finanzielle Verbindung zwischen den Wahlkomitees und den Produzenten zu ermitteln, so Ruediger. Nutzer, die Fake News teilen, können derweil kaum bestraft werden. Stets können sie sich auf die freie Meinungsäußerung berufen. Und darauf, nicht mit böswilligem Vorsatz gehandelt zu haben.

 

Offener Machtkampf in offenen Netzwerken

 

Offene Netze wie Facebook, Twitter und Youtube und geschlossene Netze wie WhatsApp sind die Waffen im Kampf um die Meinungshoheit. Per WhatsApp mobilisiere man die eigenen Anhänger und versorge sie mit Propagandamaterial, so Ruediger. "Wenn diese Inhalte dann in die großen, offenen Netzwerke wie Twitter, Facebook und Youtube überschwappen, nehmen sie neue Dimensionen an, weil sie viel breiter gestreut werden."

 

Das rechte politische Lager um Bolsonaro war von Anfang an wesentlich aktiver bei der Nutzung der neuen Medien. Hunderte WhatsApp-Gruppen unterstützen ihn landesweit. Untersuchungen der Universidade Federal de Minas Gerias (UFMG) ergaben, dass besonders über diese geschlossenen Gruppen Fake News verbreitet werden. Unklar ist, ob die Gruppen spontan von Freiwilligen oder professionell organisiert werden.

 

Bolsonaro selbst macht derweil mit der schieren Fülle seiner Tweets seinem politischen Idol Donald Trump Konkurrenz. Da er kaum über Wahlkampfgelder und Sendezeiten für seine Wahlspots verfügte, konzentrierte er nahezu den kompletten Wahlkampf auf soziale Medien. Und das macht er meisterhaft. Stets beschränkt er sich auf möglichst simple Statements, die direkt auf die drückendsten Probleme der Brasilianer zielen: Arbeitslosigkeit, Sicherheit und Korruption.

 

Twitterkönig Bolsonaro

 

"Die anderen haben das verschlafen und dann später auch nicht so gut umgesetzt", so Ruediger. Man habe die Wirkung der TV-Spots überschätzt - und dabei das Internet links liegen gelassen. Bolsonaros virtuelle Gefolgschaft übertrifft die seiner politischen Gegner nun um ein Vielfaches. Zwar ist Bolsonaro selbst Opfer von Fake News, die ihm unter anderem Pädophilie vorwerfen. Doch innerhalb seiner virtuellen Anhängerschaft gibt es Gruppen, die sich auf die Abwehr gegnerischer Attacken konzentrieren. Etwas Vergleichbares hat das Haddad-Lager nicht zu bieten.

 

Zwar verbreite das Bolsonaro-Lager die meisten Desinformationen und Fake News, so die Analyse der FGV. „Aber es gibt hier keine Unschuldsengel, denn Links wie Rechts macht da mit. Wobei die einen halt effizienter und aggressiver die Möglichkeiten nutzen als die anderen." Traditionelle Medien setzen zwar auf Faktenchecks. Doch auch in Brasilien ist das Vertrauen in die Medien rapide gesunken. Zudem ist für viele Brasilianer der Umgang mit der gewaltigen Informationsflut neu. "Die Leute müssen lernen, einmal Gehörtes mit mehreren Nachrichtenquellen gegenzuchecken. Leider passiert das nicht, weil sie zu bequem sind oder schlichtweg nicht gebildet genug, um zu wissen, dass man kritisch hinterfragen muss", so Ruediger.

Das Resultat ist ein allgemeines Misstrauen. Und eine immer stärkere Polarisierung zwischen den beiden politischen Lagern. Wütend beschimpft man sich gegenseitig als "Faschisten" und "Kommunisten". Eine sachliche Debatte um Inhalte ist längst nicht mehr möglich. "Man hat auf beiden Seiten alles getan, um den Hass zu schüren", so das Fazit des Soziologen Ruediger. "Die nächste Regierung wird deshalb einer extrem polarisierten Gesellschaft gegenüber stehen."

Quelle: Deutsche Welle, Autor: Thomas Milz

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