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Chile |

"Die Kordillere der Träume" von Patricio Guzmán - Felsen der Erinnerung

Patricio Guzmán versucht in seinem neuen Film „Die Kordillere der Träume“ den Spuren seiner Vergangenheiten und der seines Landes näherzukommen. Die massiven Gebirgsketten der Anden werden für ihn zum Reflexionspunkt der turbulenten Geschichte Chiles.  

In Patrico Guzmáns neuem Film "Kordillere der Träume" werden die massiven Gebirgsketten der Anden zu einem Fixpunkt in der turbulenten Geschichte Chiles. Foto: Atacama Productions France

Als die Bomben des Militärs am 11. September 1973 die Erde in Santiago de Chile erbeben ließen, brach auch das bisherige Leben von Patrico Guzmán in sich zusammen. Mit dem Tod Salvador Allendes war die sozialistische Euphorie erloschen, es begann eine Militärdiktatur, die Andersdenkende verfolgte und Tausende ins Exil trieb. Sie hinterließ einen tiefen Riss in der chilenischen Gesellschaft und einen tiefen Riss im Leben von Patricio Gúzman. Auch er floh ins Exil nach Frankreich, kehrte nur für Besuche nach Chile zurück – und doch hat er sein ganzes künstlerisches Leben seiner Heimat gewidmet.

So auch in seinem neuen filmischen Essay „Die Kordillere der Träume“ (La Cordillera de los Sueños). Er unternimmt darin den Versuch, den Spuren seiner Vergangenheiten und der seines Landes näherzukommen. Einer Heimat, die für ihn zur Fremde geworden ist. Es ist der bisher persönlichste Film Guzmáns: Er erzählt darin von seiner Kindheit, den großen Brüchen seines Lebens, der Einsamkeit im Exil und vor allem von der jüngsten Geschichte seines Landes.

Die Kordillere, das Unveränderliche 

Nach der Atacama-Wüste in „Nostalgia de la Luz“ und dem Pazifischen Ozean in „Der Perlmuttknopf" rückt Guzmán am Ende seiner Trilogie die Kordilleren der Anden, die sich über 80 Prozent der Fläche Chiles ausdehnen und die die Hauptstadt Santiago mit schneebedeckten Gipfeln umschließen, ins Zentrum: „Diese gigantische Gebirgskette, die im Mittelpunkt meiner Betrachtung steht, ist für mich zu einer Metapher für das Unveränderliche geworden, für das, was bleibt und uns bewohnt, wenn wir denken, dass wir alles verloren haben“, sagt Guzmán selbst.  

Die Gipfel der Anden als ein Fixpunkt in der turbulenten Geschichte Chiles, die zum stillen Beobachter der Verbrechen der Militärdiktatur, der zerplatzen Träume und sozialen Umwälzungen wurden. Guzmán spürt für seinen Film weitere solcher Zeugen auf. Künstler wie er selbst, die allerdings Chile nie verlassen haben, sondern die täglichen Torturen der Diktatur und den zähen Übergang hin zur Demokratie miterlebt haben und in „Die Kordillere der Träume“ davon erzählen: zwei Bildhauer, ein Schriftsteller und ein Filmemacher.

Erinnerungen an die Diktatur 

Eine der beeindruckendsten Episoden ist die des Filmemachers Pablo Salas. Seit den 1980er Jahren ist er ständig mit seiner Kamera auf Protesten unterwegs. Mittlerweile hat er ein riesiges Archiv mit Videokassetten in seinem kleinen Büro angesammelt. Seine Aufnahmen zeugen von den Verbrechen der Militärdiktatur, den Tritten und Schlägen von Polizisten gegen wehrlose Frauen, den Wasserwerfern gegen friedliche Demonstranten, den Verhaftungen. Seine Aufnahmen sind Erinnerungsstücke, die gegen das kollektive Vergessen, die generelle Amnesie der Post-Diktatur-Ära anzukämpfen versuchen. Kunst wird zu einer Form der Konservierung.

An einer Stelle des Films sagt der Bildhauer Francisco Fazitua: „Wir sind Künstler und ein Künstler ist der Wächter der Schönheit seines Landes. Ein Künstler muss über die Schönheit seines Landes wachen, egal wo er ist.“ Dieses Zitat umschreibt auch die Kunst in Guzmáns Film. Sie ist Wächter der kollektiven Erinnerung. „Die Kordillere der Träume“ bewahrt die Schönheit der Natur Chiles in atemberaubenden Aufnahmen der Anden, die bis zu 6.000 Meter in die Höhe ragen. Und er bewahrt gleichzeitig auch die Hässlichkeit der chilenischen Politik in den authentischen Aufnahmen der Gewalt. Sie zeigen die beiden Seiten Chiles, das Konstante und das Brüchige.

Der Verfall des modernen Chiles 

In „Die Kordillere der Träume“ sucht Patricio Guzmán nach Konstanten in einer von Verlusten und Umbrüchen geprägten Welt. Er findet sie in der Kunst. Aber auch in seinem kleinen Geburtshaus, das als einziges Kolonialhaus inmitten von tristen Hochhäusern die Modernisierung überlebt hat. Und natürlich findet er sie in den massiven Gebirgsketten der Anden. Gleichzeitig zeigt sich in alledem auch der Verfall Chiles: Sein Geburtshaus liegt in Ruinen, die Kupferminen in den Anden werden zum Symbol der neoliberalen Ausbeutung der Natur, die mit den Chicago Boys unter Diktator Pinochet seinen Anfang nahm. 

„Die Kordillere der Träume“ ist eine Annäherung an die Entfremdung eines Landes mit sich selbst, aber auch an die des Autors mit seiner Heimat, die es so nicht mehr gibt. Mit einem Volk, das sich misstraut. Der Film zeigt Bilder, in denen Chilenen gegen Chilenen kämpfen. Das ist eine weitere Konstante: Pablo Salas‘ Aufnahmen der Proteste der Pinochet-Ära könnten auch aus dem Jahr 2019 oder von Anfang 2020 stammen, als tausende Chilenen gegen die große soziale Ungleichheit auf die Straßen gingen und es immer noch tun. Die Regierung antwortete wie damals mit Wasserwerfern und Tränengas. Wie die Risse in den massiven Felsen der Anden gehen auch tiefe Risse durch Chiles Gesellschaft. Guzmán versucht sie in seinem Film zu visualisieren und sie für die Ewigkeit festzuhalten.

Der Film von Patrcio Guzmán "Die Kordillere der Träume" ist ab dem 16. Juli in den deutschen Kinos zu sehen.

Autor: Julian Limmer 

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