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Kolumbien |

Der Friedensprozess auf der Kippe

Schwere Zeiten für Kolumbiens Präsidenten Ivan Duque: Wegen der Ausweitung illegaler Drogenanbauflächen im Land kommt massive Kritik aus den USA. Zudem hat eine Enthüllung der New York Times eine politische Krise ausgelöst.

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Wandmalerei in Bogotá, Kolumbien, gegen Gewalt und Militarisierung. Foto: Adveniat/Jürgen Escher

Zu 37 Jahren und fünf Monaten Gefängnis wurde der Oberst a.D., Óscar Orlando Gómez Cifuentes, vor wenigen Tagen von einem Gericht in Puerto Carreño, im Osten Kolumbiens an der Grenze zu Venezuela, verurteilt. Im Nobember 2017 war er von den USA nach Kolumbien ausgeliefert und dort wegen zweifachen Mordes angeklagt worden. Die beiden Getöteten waren damals als Mitglieder einer kriminellen Bande präsentiert worden. Das Gericht aber bezweifelte die Version, nach der die Militärs Ende 2006 bei einem Einsatz gegen mutmaßliche Erpresser in der Gemeinde Cumaribo von zwei Männern auf einem Motorrad beschossen wurden. Das angebliche Motorrad tauchte nie auf; von den 141 abgegebenen Schüssen und 40 Granaten hatte keine das mutmaßliche Motorrad getroffen. Auch stimmten die Schusswunden der beiden Opfer nicht mit einem angeblichen Gefecht überein. Laut Zeugenaussage waren die beiden vielmehr von einer kriminellen Bande übergeben und ermordet worden. Später wurden die getöteten Zivilisten als Erfolg im Kampf gegen Kriminelle präsentiert, als sogenannte „falsche Positive“ (falsos positivos).
Der Falsos-Positivos-Skandal hatte seinerzeit Kolumbien erschüttert. Es handelte sich dabei um Fälle, bei denen Soldaten der kolumbianischen Armee wahllos Bauern und Zivilisten töteten und die Leichen als im Kampf gefallene Guerilla-Kämpfer ausgaben, um dafür Erfolgsprämien wie zum Beispiel Beförderungen oder Sonderurlaub zu kassieren. Der Skandal kam 2008 ans Licht; insgesamt gab es mehr als 3.000 Opfer.

New York Times deckt interne militärische Anweisung auf

Nicht nur das Urteil gegen Gómez Cifuentes weckt die längst begraben geglaubten Geister nun wieder. Erst in der vergangenen Woche hatte die US-Tageszeitung New York Times in einem Artikel auf der Titelseite interne Anweisungen an Kolumbiens Militär aufgedeckt, die operativen Ergebnisse zu verdoppeln – nicht nur Festnahmen sondern auch Tötungen. Anonym aussagende Soldaten befürchteten eine Rückkehr der „falsos positivos“. In Kolumbien selbst sorgte der Artikel für enorme Aufregung. Nur wenige Tage vorher hatten drei einflussreiche US-Senatoren in einem Brief Kolumbiens Präsidenten Ivan Duque gebeten, General Nicacio Martínez – den Autor der Direktive – nicht zu befördern, da glaubhafte Beweise vorlägen, die seine Rolle in außergerichtlichten Hinrichtungen belegten.

Kolumbiens Regierung wies in einem Schreiben an die New York Times den Artikel als „tendenziös“ zurück und erklärte, die Anweisung bezwecke nicht mehr Tötungen, sondern ein verstärktes Vorgehen gegen Krimininalität. Wenig später kündigte die Regierung dann aber an, die Direktive zurückzuziehen, um „schlechte Interpretationen“ zu vermeiden. Duque kündigte zudem die Bildung einer Kommission an, um der Angelegenheit auf den Grund zu gehen. Die Staatsanwaltschaft wiederum eröffnete am Montag, 27. Mai 2019, eine Untersuchung gegen Martínez und andere Militärs wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten in den Anweisungen an das Militär zur Verbesserung der Ergebnisse bei Operationen.

US-Demokraten werfen Präsident Duque Sabotage des Friedensprozesses vor

Doch die Aufregung hatte sich noch nicht gelegt, da legte die New York Times in einem Leitartikel nach und warf Duque und seinen „rechten Verbündeten“ vor, allen voran Ex-Präsident Álvaro Uribe, den Friedensprozess mit der Farc-Guerilla zu sabotieren und zu zerstören. Natürlich kam das in der Casa de Nariño, im Präsidentenpalast in Bogotá, gar nicht gut an. Aber damit nicht genug: Am vergangenen Freitag, 24. Mai 2019, schrieben 79 demokratische Abgeordnete des US-Kongresses einen Brief an US-Außenminister Pompeo, in dem sie diesen Vorwurf erhärten. Die Umsetzung des Friedensabkommens werde behindert durch Entscheidungen der kolumbianischen Regierung selbst, wie die Reduzierung der Mittel für Ernteersatz, also den Verzicht auf Koka-Anbau, und Landrückgabeprogramme, während zugleich versucht werde, Elemente der Übergangsjustiz zu ändern, die mit der Guerilla vereinbart wurden.

Keine leichten Zeiten für Ivan Duque: Auf der einen Seite fordert US-Präsident Donald Trump Ergebnisse im Anti-Drogen-Krieg, einschließlich Wiederaufnahme der Sprühflüge wegen der Ausweitung illegaler Drogenanbauflächen im Land, sowie die Auslieferung von Guerilla-Führern. Auf der anderen Seite pochen die Demokraten auf Einhaltung der Menschenrechte und die Umsetzung des Friedensprozesses. Sie sehen mit Besorgnis die Zunahme der Gewalt. In einer Auseinandersetzung im Kongress am Montag, 27. Mai 2019, zwischen Regierung und Mitgliedern der Farc-Partei (Fuerza Alternativa Revolucionaria del Común) über Fortschritte bei der Umsetzung des Friedensabkommens von Havanna, nannte der Farc-Senator, Carlos Antonio Lozada, Zahlen. In den mehr als zwei Jahren seit Unterzeichnung der Friedensvereinbarung seien 133 frühere Farc-Kämpfer sowie 681 soziale Führer ermordet worden, „die große Mehrheit auf dem Land“.

Ehemalige Farc-Kämpfer gehen auf Distanz

Ein Teil der Farc scheint sich bereits von dem Friedensvertrag zu distanzieren. In der vergangenen Woche meldete sich der frühere Farc-Kommandeur und Chef der Friendsverhandlungen in Havanna, Iván Márquez, zu Wort und bezeichnete es als Fehler, die Waffen abgegeben zu haben. Er sorgte damit für erhebliche Spannungen inerhalb der Farc-Partei, dessen Führung sich von ihm distanzierte. Márquez ist seit Mitte 2018, kurz nach der Verhaftung des früheren Farc-Kommandeurs Jesús Santrich, zusammen mit anderen früheren Guerilla-Kommandeuren untergetaucht. Santrich wird die Verwicklung in Drogengeschäfte vorgeworfen; die USA verlangen seine Auslieferung. Nach der von der kolumbianischen Regierung und der ehemaligen Farc-Guerilla geschlossenen Friedensvereinbarung aber sind Auslieferungen nicht möglich. Kolumbiens Präsident Duque allerdings möchte Änderungen an der Sonderjustiz für den Frieden vornehmen, unter anderem bei der Möglichkeit von Auslieferungen, ist damit aber bisher vor Kongress und Verfassungsgericht gescheitert.

In einem offenen Brief zum 55. Jahrestag der Gründung der Farc legten Márquez und weitere Ex-Kommandeure am Montag nach. Sie verwiesen auf die Stagnation des Friedensprozesses und machten dafür „Betrug und Täuschungen des Staates“ verantwortlich. „Die New York Times hat in ihren Leitartikeln vor der unglaublichen und verstohlenen Rückkehr von falsos positivos durch operative Anweisungen an Militäreinheiten gewarnt“, schreiben sie. Der Friedensprozess in Kolumbien steht auf der Kippe.

Autor: Andreas Knobloch

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