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Demokratie in der Defensive

Foto: Reuters/A. Machado.
Foto: Reuters/A. Machado.

Die Wertschätzung und der Rückhalt für die Demokratie in Lateinamerika sind auf ein historisches Tief gesunken. In Brasilien, wo in der vergangen Woche Präsidentin Dilma Rousseff ihres Amtes enthoben wurde, ist der Trend am stärksten ausgeprägt.

"Die Vergangenheit zählt nicht. Gewählte Regierungsvertreter müssen sich die Zustimmung ihrer Wähler jeden Tag neu verdienen", lautet eine der Schlussfolgerungen einer Anfang September veröffentlichten Meinungsumfrage der "Corporación Latinobarómetro".

Die renommierte Nichtregierungsorganisation misst seit 1995 jährlich die Zustimmung der Menschen in der Region zur Demokratie als Regierungsform. Unterstützt wird sie dabei von der Internationalen Entwicklungsbank (BID) und Transparency International.

Die aktuelle Analyse geht aus einer Umfrage unter 20.000 Personen in 18 Ländern Lateinamerikas hervor. Das Ergebnis: Seit 2010 sind die Zustimmungswerte für Demokratie in der Region von 61 Prozent auf 54 Prozent gesunken.

Politisches Erdbeben in Brasilien

In Brasilien stürzte die Rate innerhalb eines Jahres von 54 Prozent auf 32 Prozent ab. Nur in Guatemala, wo 2015 Präsident Otto Pérez Molina wegen Korruptionsvorwürfen zurücktreten musste, liegt sie derzeit mit 30 Prozent noch niedriger.

Die Tragweite der Lage in Brasilien ist besonders groß: "Brasilien ist nicht nur das größte und mächtigste, sondern auch das einzige Land Lateinamerikas, das mit den Weltmächten verkehrt." Deshalb sei der Zustand der brasilianischen Demokratie entscheidend für ganz Lateinamerika: "Die politische Erholung Brasiliens ist an die Fähigkeit der neuen Regierung geknüpft, Fortschritte im Kampf gegen Korruption zu verzeichnen," heißt es in der Studie.

Die aktuellen Ergebnisse der Umfrage reihen sich ein in einen weltweiten Trend der Demokratieskepsis, den der US-amerikanische Demokratieforscher Marc F. Plattner bereits im vergangenen Jahr in seinem Buch "Democracy in Decline?" (Dt.: Niedergang der Demokratie?) beschrieben hatte.

Erblasten der Vergangenheit

In Lateinamerika liegt die Rückkehr zur Demokratie in vielen Ländern nicht länger als 30 Jahre zurück. Die Aufarbeitung der Folgen der Militärdiktaturen der 70er und 80er Jahre ist nicht abgeschlossen.

Besonders schwer wiegt laut Studie der Anstieg der politischen Gleichgültigkeit in der Region. So erklärten in diesem Jahr 23 Prozent der Befragten, es sei ihnen egal, ob ihre Regierung demokratisch legitimiert sei oder nicht. Im Jahr 2010 sagten das nur 16 Prozent.

"Der Vertrauensverlust manifestiert sich in einem Moment, in dem sich die trüben Wirtschaftsaussichten für die Region mit den hohen Ansprüchen der Bürger an ihre Regierungsvertreter vermischen", meint Marta Lagos, Gründerin und Direktorin der "Corporación Latinobarómetro". Die Kombination dieser Faktoren sei zum ersten Mal seit der Erhebung der Daten aufgetreten.

Rezession und Korruption

Doch schlechte Wirtschaftsaussichten können kaum der alles entscheidende Faktor für die wachsende Enttäuschung über die Demokratie sein. Denn ausgerechnet während der weltweiten Finanzkrise 2008 und 2009 erreichten die Zustimmungswerte 59 Prozent, ein Jahr später sogar ihren Höhepunkt von 61 Prozent.

"Die Gesellschaft hat sich verändert", konstatiert Marta Lagos. "Was vor fünf Jahren noch toleriert wurde, ist heute nicht mehr hinnehmbar." Die Leute verlangten nach konkreten Lösungen für konkrete Probleme, die sofort umgesetzt werden müssten. "Sie sind nicht mehr bereit, sich auf später vertrösten zu lassen", so Lagos.

Überraschen mag auf den ersten Blick das Umfrageergebnis aus Venezuela. Denn obwohl das Land politisch und wirtschaftlich kollabiert, steht hier die Demokratie mit 77 Prozent Zustimmung vergleichsweise hoch im Kurs. Eine mögliche Erklärung: Viele Venezolaner erachten die Regierung ihres Staatspräsidenten Nicolás Maduro für nicht mehr als demokratisch und wünschen sich eine Rückkehr zur Verfassungstreue.

Nur die Gegenwart zählt

In Chile, Uruguay, Nicaragua und El Salvador sank die Zustimmung zur Demokratie ebenfalls. In Chile sanken nicht nur die Umfragewerte für Demokratie, sondern auch für Präsidentin Michelle Bachelet. Obwohl sie 2010 ihre erste Amtszeit mit Zustimmungsraten von rund 80 Prozent beendete, stürzten sie in ihrer zweiten Amtszeit von 2014 an in den Keller.

Grund für den Absturz war nicht nur die Wirtschaftskrise, ausgelöst durch fallende Rohstoffpreise für Chiles Hauptexportprodukt Kupfer, sondern ein Korruptionsskandal, in den Bachelets Sohn verwickelt war. "Das sind die Zeichen der Zeit: Es gibt keine Garantie mehr auf vollbrachte Leistungen in der Vergangenheit", erklärt Direktorin Lagos.

Korruption, Klanwirtschaft und soziale Ungerechtigkeit: "Mit der Demokratie wachsen auch die Ansprüche an die gewählten Volksvertreter, die strukturellen Probleme in der Region zu bekämpfen", resümiert Lagos und verweist auf das einzige positive Ergebnis des Latinobarometers: Die Zustimmung zur Rückkehr autoritärer Regime ist von 16 Prozent auf 15 Prozent gesunken.

Quelle: Deutsche Welle, Autor: Astrid Prange.

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