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Brasilien |

"Danach baute sich wieder das System aus der Kolonialzeit auf"

Ceres Hadich. Foto: Christina Weise
Ceres Hadich. Foto: Christina Weise

Ceres Hadich ist studierte Agronomin und Agrarökologin und Vertreterin der Landlosenbewegung MST im brasilianischen Bundesstaat Paraná. Die MST ist die größte soziale Bewegung Lateinamerikas, in Brasilien entstand sie aufgrund der extrem ungleichen Landverteilung. Seit 32 Jahren setzen sich die MST in Brasilien für bessere Bedingungen einer ökologischen und familiären Landwirtschaft ein sowie für eine demokratische Entwicklung des Landes. Sie fordern ein anderes Modell ländlicher Entwicklung und eine Agrarreform.
Zurzeit ist Ceres Hadich in Deutschland unterwegs, um auf die aktuelle Situation in Brasilien aufmerksam zu machen. Blickpunkt Lateinamerika hat mit ihr über die aktuelle Situation in Brasilien gesprochen und wie die sozialen Bewegungen sich demgegenüber verhalten.

Wie zeigen sich die Auswirkungen der aktuellen Regierung, wie Kürzungen der Sozialprogramme, bei den MSTlern auf dem Land?

Die Arbeiterklasse ist davon stark betroffen. Auf dem Land noch viel mehr als in der Stadt, denn die Agrarunternehmer haben unter der aktuellen Regierung noch mehr Macht bekommen. Nicht nur durch die Privatisierung von Land, sondern auch durch den starken Anstieg von Pestiziden. Das hat einen erheblichen Einfluss auf das Leben der Kleinbauern und der Landlosen. Viele Rechte wurden dem brasilianischen Volk wieder entzogen, wie das Recht auf Land, was uns in unserem Kampf um Jahre zurückwirft. Es wird mit aggressiver Hand regiert, ohne auf die Konsequenzen zu achten. Brasilien ist ein junges Land mit wenigen Jahren der Demokratie. Sie ist jung und verletzlich und steht gerade auf dem Spiel.

Wie äußert sich das ganz konkret?

Dort wo ich lebe, im Norden vom Bundesstaat Paraná, haben wir beispielsweise viele Probleme mit Agrargift. Dann fliegt ein Flugzeug über ein bestimmtes Gebiet und besprüht von oben alles mit Pestiziden manchmal auch uns. Menschen werden davon krank, Pflanzen, wie unsere Früchte und unser Gemüse, sterben. Außerdem tragen Wind und Regen das Gift weiter. Für mich ist es auch eine Art Bekämpfung der Kleinbauern.
Wir leben in widrigen Zeiten. Das Agrobusiness bezieht Angriffsposition und hat die Regierung hinter sich. Sie schaffen es, immer mehr Land zu bekommen. Es geht hier aber nicht nur um Land, sondern auch um Wasser, das in Brasilien immer weniger wird. Es ist viel mehr als nur ein Kampf um Land es ist ein Machtkampf.

In Brasilien steigt die Gewalt gegen Andersdenkende, in den sozialen Netzwerken begannen die Beschimpfungen, nun sind sie auch im „echten Leben“ angekommen. Woher kommt dieser Hass?

Die Jahre vor der Amtsenthebung von Dilma Rousseff, vor allem die mit Lula als Präsidenten, waren ruhig, und es gab so etwas wie ein Einverständnis zwischen den Schichten. Alle profitierten von der Arbeit der Regierung. Diese soziale Wirkung wurde durch den Putsch - denn das war es für mich - zerstört. Danach baute sich in gewisser Weise wieder das System aus der Kolonialzeit auf: die Herren, die Sklaven und die Mittelklasse, die alles dafür tut, dass die Arbeiter nicht sozial aufsteigen. Hinzu kommt die weltweite Wirtschaftskrise. Niemand möchte das verlieren, was er hat. Das liegt aber nicht nur an der aktuellen Regierung. Wir erleben einen Moment, in dem sich bestimmte, entgegengesetzte Kräfte reorganisieren und wieder um die Vorherrschaft in der Gesellschaft kämpfen. Diese Kräfte sind die sozialen Klassen, die sich für ihre Ideale und Ideen einsetzen und sich neu positionieren. Brasilien wird neu geordnet.

Wie sehen Sie die aktuelle Situation in Brasilien, besonders die Festnahme von Lula?

Die Haft von Lula gehört für uns zur Strategie der Regierungspartei, genau wie die Amtsenthebung von Dilma und die Demoralisierung der Arbeiterpartei PT. Wir haben schon damit gerechnet, dass nach dem Putsch so etwas passieren wird. Es war nicht einfach für unsere Gegner, denn wir haben lange dagegenhalten können. Aber die richterliche Gewalt regiert zurzeit vollkommen autonom und steht über allen und allem. Einen weiteren großen Einfluss und auch Macht haben die Medien, was unsere Arbeit erheblich erschwert.

Wie reagieren die sozialen Bewegungen?

Die MST organisiert, informiert und mobilisiert die Arbeiterklasse. In der aktuellen politischen Situation schließen sich immer mehr Menschen unserem Kampf an. Sie begreifen, wie wichtig es ist, jetzt nicht zu schweigen. Außerdem benötigen sie unsere Hilfe, weil sie ihre Arbeit, ihre Unterkunft, ihr Land verloren haben. Die Camps der MST nehmen jeden auf. Über das linke Bündnis Frente Popular (Volksfront) werden in allen Städten und Gemeinden Volkskomitees gegründet, die Raum für politische Diskussionen bieten. Daraus sollen Volkskongresse auf Bundesstaatenebene entstehen mit Repräsentanten aus den Komitees, die im Juli zum ersten Mal tagen sollen. Natürlich ist das kein einfaches Vorhaben, vor allem nicht im Wahljahr, aber das brasilianische Volk soll eine Stimme bekommen. Außerdem ist es nicht nur wichtig, Lulas Haft anzuprangern, sondern ihn auch immer wieder als Kandidaten zu nennen. Weder wir, noch die Frente Popular oder die PT haben ihn ausgesucht, sondern das brasilianische Volk. Wenn Lula kandidiert, wird er gewinnen, weil das Volk ihn als Präsidenten möchte. Lula ist nicht mehr nur eine Person, er ist das Projekt des brasilianischen Volkes, eine große Hoffnung.

Interview: Christina Weise

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