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Cardoso: "Die Militärs sind vergleichsweise vernünftig"

Brasiliens rechte Regierung führt seit zwei Monaten das Land. Der sozialdemokratische Ex-Präsident Fernando Henrique Cardoso erklärt in der DW exklusiv, warum ihm die Militärs im Kabinett die geringsten Sorgen machen.

Brasiliens Ex-Präsident "FHC" erklärt exklusiv, warum die Militärs das kleinste Übel im neuen Kabinett sind. (Foto: DW/Guilherme Henrique)

Deutsche Welle: Herr Cardoso, auf Twitter haben Sie die ersten Tage der Regierung Bolsonaro als Chaos beschrieben. Wie beurteilen Sie die ersten zwei Monate?

Fernando Henrique Cardoso: In der Regierung herrscht nicht nur weiterhin Unordnung. Es mangelt auch an Verständigung zwischen den unterschiedlichen Gruppierungen. Der Wirtschaftsflügel scheint ein Ziel zu haben, der Justizminister auch. Die anderen wissen noch nicht, was sie wollen: Der eine sagt dies, der andere das. Interessanterweise haben sich die Minister aus dem Militär bisher umsichtiger und beherrschter geäußert als die anderen. Jede neue Regierung beginnt ein bisschen chaotisch, aber diese hier, die so entschlossen antrat, kommt überhaupt nicht in Tritt.

Und Bolsonaros Söhne scheinen ihren Anteil an der Unordnung zu haben.

Es gibt die Militärs, die ideologisch Gestrigen und die Söhne. So etwas habe ich noch nicht erlebt: eine Regierung, in der die Familie solches Gewicht hatte. Wir leben doch nicht in einer Monarchie, oder? Solch eine Verquickung hat in Brasilien überhaupt keine Tradition.

Wer wird sich denn durchsetzen: der wirtschafts-liberale Flügel mit bürokratisch-militärischer Rationalität oder der militante Konservatismus?

Tja, das ist die Frage. Übertriebener Liberalismus funktioniert auch nicht. Die Militärs haben aber einen Vorteil: Sie kennen Brasilien. Da gibt es diese Technokraten, die folgerichtigerweise konservativ sind, aber nicht reaktionär oder rückwärtsgewandt. Und es gibt diese Fantasten, die von den "Gefahren des Globalismus" fabulieren. Was soll das denn sein?

Wozu überhaupt die Einbindung der Militärs? Sie haben vergangenes Jahr gesagt, dass Regierungen das Militär rufen, wenn sie schwach sind.

Ich erinnere mich an die Regierung Allende. Damals war ich in Chile und er hat alle möglichen Posten mit Militärs besetzt, weil er keine politische Macht hatte. Hier ist es wohl weniger das Fehlen politischer Macht. Es sind eben die Leute, die er kennt. Bolsonaro war jahrzehntelang Abgeordneter, aber er scheint keine politischen Beziehungen aufgebaut zu haben. Die Militärs in der Regierung, sind nicht Minister geworden, weil sie Militärs sind, sondern weil sie vergleichsweise vernünftig sind. Das Problem daran ist eigentlich, dass die Streitkräfte, die gar kein Interesse daran hatten, wieder an die Macht zu kommen, nun mit der Regierung verbandelt sind. Und das ist nicht gut für sie.

In Venezuela ist das Militär derzeit das Zünglein an der Waage. Wie sollte Brasilien sich in dem Konflikt verhalten?

Dieser Juan Guaidó - ich kenne ihn gar nicht - hat aus meiner Sicht einen hochriskanten Zug gewagt. Er hat den Druck von außen erhöht, um im Land selbst etwas zu bewirken. Aber das hat nicht funktioniert. Die Macht hat sich nicht verschoben, sie ist immer noch beim Militär.

Ich halte die Position der brasilianischen Militärs für richtig: Sie haben kein Interesse an einer militärischen Intervention, weil sie gesehen haben, was in Libyen oder dem Irak passiert ist. Man zerstört alles, und dann? In Venezuela sind sie gegen das Regime, überlassen es aber dem Land, die Situation zu lösen.

Sie waren kürzlich in Europa. Was haben Sie dort über Bolsonaro gehört?

Dort versteht man die Wahl so: Es gab einen Putsch, um Dilma Rousseff zu stürzen, und Bolsonaro mit seiner faschistischen Regierung ist die Fortsetzung davon. Er ist erklärtermaßen rechts. Aber ein Faschist ist er nicht, dazu fehlt ihm eine konsequente Ideologie, eine Bewegung, eine Partei. Die Europäer lesen Brasilien in ihrer Tradition, aber das funktioniert nicht. Die Rechten haben gewonnen, keine Frage. Es gibt rückschrittliche Tendenzen, das ist klar: gegen Globalismus, gegen Gender-Identität … das ist reaktionär und bewegt das Volk. Aber das Volk hat aus Angst gewählt - Angst vor der Arbeiterpartei, der Wirtschaftskrise und gegen die Korruption. Sie haben jemanden gewählt, damit er das Land rettet. Und nun ist er da und weiß nicht, was er machen soll.

Während der brasilianischen Militärdiktatur (1964-1985) floh Fernando Henrique Cardoso, kurz FHC, ins Exil. Von 1995 bis 2003 war er Präsident seines Landes. Heute leitet er in São Paulo eine politische Stiftung, die seinen Namen trägt.

Das Interview führte Guilherme Henrique

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