Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.
Brasilien |

Brasiliens Hauptstadt feiert 60. Geburtstag - Der bedrohte Traum vom Aufbruch

Vor 60 Jahren wurde Brasiliens neue Hauptstadt eingeweiht. Sie stand für eine Vision von Modernität. Ob es aber eine gute Idee war, die Regierung mitten ins Nirgendwo zu verpflanzen?

Blick auf Brasilia. Foto: Jürgen Escher/ Adveniat 

Am Anfang stand ein Traum. Der italienische Priester Johannes Bosco (1815-1888), Gründer der "Salesianer Don Boscos", soll von einem "Land, wo Milch und Honig fließt" geträumt haben, gelegen "zwischen dem 15. und 20. Grad südlicher Breite", in der Nähe eines Sees. Für die Urväter der brasilianischen Republik war klar, dass er von Brasilia träumte.

Symbol des Aufbruchs in die Moderne 

In der ersten republikanischen Verfassung von 1891 steht der Auftrag, die Hauptstadt ins Landesinnere zu verlegen. Konkret wurden die Pläne unter Präsident Juscelino Kubitschek (1956-1961), einem Arzt mit einer Vision. Innerhalb von fünf Jahren sollte das rückständige Brasilien in die Moderne katapultiert werden, und das Symbol für den Aufbruch war die neue Hauptstadt.

Es war eine Zeit des Um- und Aufbruchs. Unter Präsident Getulio Vargas (1930-1945 und 1951-1954) war Brasilien vom Agrar- zum Industriestaat geworden. Die "swinging fifties" erfanden den Bossa Nova, und mit dem Fußball-WM-Sieg 1958 erwuchsen neue Helden. Ausdruck der Moderne waren die aus Europa kommenden Fabriken, die Autos und Lastwagen produzierten. Mit ihnen sollte es hinein ins weite, nahezu unbekannte Landesinnere gehen, wo Reichtümer lockten.

Er habe geglaubt, dass Brasilia einfach viel zu weit im Nirgendwo lag, erinnerte sich der Stararchitekt Oscar Niemeyer (1907-2012) am Ende seines langen Lebens. "Es gab keine Kommunikation, keine Straßen, kein Telefon. Ein furchtbares Etwas aus Staub war es." Damals war Niemeyer tagelang über Erdpisten unterwegs, um die mehr als 1.000 Kilometer landeinwärts zurückzulegen.

Eine Stadt wie ein Flugzeug 

Niemeyer entwarf die wichtigsten Gebäude der neuen Hauptstadt, darunter den Kongress, den Präsidentenpalast und die Kathedrale. Der Traum des bekennenden Kommunisten: "Wir wollten eine Stadt erschaffen, in der alle gleich waren, eine sozialistische Stadt."

Verantwortlich für den urbanistischen Entwurf der "gleichen Stadt" war der Architekt Lucio Costa. Er zeichnete zwei Achsen in Form eines Flugzeuges. An den "Flügeln" die Wohnanlagen, jeder einzelne Block aus einem halben Dutzend Wohngebäuden und einem kleinen Einkaufsviertel. Jeder Block war gleich, Privilegien sollte es nicht geben.

Entlang des "Flugzeugrumpfs" wurden die Regierungsgebäude angesiedelt. Das "Cockpit" bestand aus den um den "Platz der drei Gewalten" angesiedelten Verfassungsorganen: Präsidentenpalast, Kongress und Oberstes Gericht.

Die Illusion des sozialen Gleichgewichts

Heute bezeichnen viele Brasilianer ihre im Eiltempo zwischen 1955 und 1960 erschaffene Hauptstadt als Insel der "Illusion", der "Täuschung", wobei im portugiesischen Wort "fantasia" sowohl der "Traum" wie auch der "Alptraum" mitschwingt. Dank tausender Diplomaten und Regierungsbeamter hat Brasilia das höchste Pro-Kopf-Einkommen des Landes und Wohlstandsindikatoren von skandinavischem Niveau.

Rund um die Hauptstadt liegen jedoch "Satellitenstädte", in denen Millionen Menschen unter ärmsten Bedingungen hausen. Niemeyer gestand den gescheiterten Traum am Ende seines Lebens ein. "Brasilia steht für diesen Gegensatz. Aber so ist das Leben, die Dinge wachsen, ohne dass man Zeit hat, sie zu kontrollieren."

Angeschlagen ist auch Brasiliens Demokratie. Bereits 1964, drei Jahre nach Brasilias Einweihung, beendete ein Militärputsch Kubitscheks Träume. Und die zweite Chance, die die Demokratie nach dem Ende der Diktatur 1985 erhielt, setzt sie gerade wieder aufs Spiel. Brasilia stehe für Korruption und Filz, für Politiker, die ihr Volk nicht kennen, heißt es.

Der Traum, der nie Wirklichkeit wurde 

Gemeint ist auch der rechtspopulistische Präsident Jair Messias Bolsonaro, seit Anfang 2019 im Amt. Am Sonntag ließ er sich in Brasilia von einer Menge feiern, die den Kongress und das Oberste Gericht schließen will. Das Militär möge die Macht wieder übernehmen, forderte die Menge. Es waren nur einige hundert Demonstranten, aber sie vermiesten Brasilia die Vorfreude auf den Geburtstag.

Die Feiern sind wegen der Corona-Krise ohnehin abgesagt. Ob sich der Traum von Don Bosco, Kubitschek oder Niemeyer mit Wirklichkeit erfüllt, muss die Zukunft zeigen. Zwar gilt Brasilien als Land der Zukunft, aber manchmal verlässt die Brasilianer der Glaube, dass diese Zukunft jemals Realität wird.

Autor: Thomas Milz (kna) 

Weitere Nachrichten zu: Panorama

Cookie Einstellungen

Erforderliche Cookies sind für den reibungslosen Betrieb der Website zuständig, indem sie Kernfunktionalitäten ermöglichen, ohne die unsere Website nicht richtig funktioniert. Diese Cookies können nur über Ihre Browser-Einstellungen deaktiviert werden.

Anbieter:

Bischöfliche Aktion Adveniat e.V.

Datenschutz

Marketing-Cookies werden verwendet, um Besuchern auf Webseiten zu folgen. Die Absicht ist, Anzeigen zu zeigen, die relevant und ansprechend für den einzelnen Benutzer sind und daher wertvoller für Publisher und werbetreibende Drittparteien sind.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz

Statistik-Cookies dienen der Analyse und helfen uns dabei zu verstehen, wie Besucher mit unserer Website interagieren, indem Informationen anonymisiert gesammelt werden. Auf Basis dieser Informationen können wir unsere Website für Sie weiter verbessern und optimieren.

Anbieter:

Google Ireland Limited

Datenschutz