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"Brasilien ist kein Problemfall des Klimas"

Tasso Azevedo, Leiter von Brasiliens Treibhausgas-Prognose-System SEEG Foto: Thomas Milz
Tasso Azevedo, Leiter von Brasiliens Treibhausgas-Prognose-System SEEG Foto: Thomas Milz

Beunruhigende Zahlen aus Brasilien: So sind Brasiliens CO2-Emissionen in den Jahren 2015 und 2016 um 12,3 Prozent gestiegen, während die Wirtschaft gleichzeitig um rund acht Prozent einbrach. Ein ungewöhnliches Phänomen, das für die Zukunft nichts Gutes erahnen lässt.

Wir sprachen mit Tasso Azevedo, der Brasiliens Treibhausgas-Prognose-System SEEG leitet. Seit Jahren gehört Azevedo der brasilianischen Delegation bei Klimakonferenzen an. Auch bei der COP23-Klimakonferenz in Bonn (6. - 17. November) ist er wieder dabei.

Milz: Herr Azevedo, die neuen Emissionsdaten für Brasilien sehen nicht gut aus. Was ist da passiert?

Azevedo: Gestiegen ist vor allem die Abholzung, die der entscheidende Faktor in Brasiliens Emissionen ist. Durch die Vernichtung der Wälder wird das dort gebundene CO2 freigesetzt. Der Anstieg hier hat den Rückgang der Emissionen in der Industrie und bei der Energiegewinnung mehr als wettgemacht.

Auch in der Landwirtschaft gab es einen leichten Emissionsanstieg um rund zwei Prozent. Aufgrund der Wirtschaftskrise ist der Fleischkonsum zurückgegangen, weshalb der Viehbestand und damit dessen Emissionen höher waren. Besonders an Brasiliens Situation ist, dass fast 75% aller Emissionen mit der Landwirtschaft zusammen hängen, also Emissionen durch die Massentierhaltung, durch die Bodendüngungen sowie die Abholzung zur Schaffung neuen Weidelandes.

Vor wenigen Wochen meldete die Regierung aber doch, dass die Abholzung wieder um 16 Prozent gesunken sei, von 7.900 auf rund 6.700 Quadratkilometer…

Azevedo: Die vor kurzem veröffentlichten Zahlen spiegeln die Entwicklung von August 2016 bis Juli 2017 wider. Diese Reduzierung der Abholzung wird sich erst in den neuen Berechnungen widerspiegeln, die wir 2018 veröffentlichen.

Trotzdem droht Brasilien seine Klimaziele zu verpassen. Welche sind das?

Azevedo: In Paris wurden Zielvorgaben für die Emissionen in 2020 angekündigt. Diese basierten aber bereits auf einem präsidentiellen Dekret von 2010. Darin wurden die Emissionen von 2005 genommen und berechnet, wo wir 2020 stehen würden, falls wir überhaupt nicht eingreifen. Da kamen wir auf 3,2 Milliarden Tonnen CO2. Davon ziehen wir als Reduktionsziel 38,9 Prozent ab, was 2,2 Milliarden Tonnen Emissionen für 2020 ergibt. Brasilien hat sich also verpflichtet, 2020 nicht mehr als diese 2,2 Milliarden Tonnen auszustoßen. Doch 2016 lagen wir mit 2,278 Milliarden Tonnen bereits darüber.

Jetzt muss man schauen, wie sich die Daten entwicklen. Wir haben derzeit zwar eine niedrigere Abholzung, aber in den Wasserkraftwerken fehlt schon wieder Wasser, weshalb wir die mit fossilen Brennstoffen betriebenen Kraftwerke anschalten mussten. Unsere Schätzungen gehen davon aus, dass wir in 2020 deshalb wohl knapp über dem Emissionsziel liegen werden.

Brasilien hat sich aber auch verpflichtet, die Abholzung um 80% gegenüber dem historischen Durchschnitt zu reduzieren. Das ist kaum zu erreichen, oder?

Azevedo: Es gibt derzeit keine Anzeichen dafür, dass die Abholzung derart radikal runtergeht, dass wir die versprochenen 3.900 Quadratkilometer 2020 erreichen. Derzeit sind wir bei rund 6.700 Quadratkilometer. Da müsste noch viel passieren….

Zuletzt konnte man in den Medien lesen, dass Brasilien mittlerweile zum Problemfall für das Klima geworden ist. Teilen Sie diese Auffassung?

Nein, Brasilien ist kein Problem für das Klima, vergleicht man das Land mit dem weltweiten Durchschnitt. Da ist Brasilien kein Problem, sondern Teil der Lösung. Denn in den letzten Jahren haben wir viele Emissionen gekürzt. Aber derzeit ist es so, dass Brasilien aufgehört hat, zu den Reduktionen beizutragen. Denn wir erhöhten den Konsum von fossilen Brennstoffen in den letzten Jahren.

Und wir haben aufgehört, die Abholzung zu reduzieren. Von 2004 bis 2010 sank die sehr stark, aber danach ging es rauf und runter. Unsere Emissionen haben sich bei rund 2 Milliarden Tonnen CO2 eingependelt. Aber von den Spitzenwerten 2003/4 mit fast 4 Milliarden Tonnen sind wir weit weg. Das ist ein wichtiger Fortschritt.

Was in Brasilien auffällig ist: 74 Prozent der Emissionen kommen aus der Landwirtschaft. Und die boomt. Dabei haben wir eigentlich Wissen und Technik, um hier die Emissionen herunterzufahren. Die Welt fragt sich, wieso Brasilien mit all seiner Technologie nicht seine Landwirtschaft sauberer macht, die Nutzflächen besser ausnützt und so seine Emissionen runterschraubt.

Eine steigende Produktion in der Landwirtschaft bedeutet auch eine erhöhte Abholzung?

Azevedo: Brasilien hat schon genug Nutzflächen für die Landwirtschaft geschaffen. Wir bräuchten keinen einzigen Hektar Wald mehr zu roden, wenn wir unsere Produktion steigern wollen. Wir könnten die Produktion von Getreide und von Fleisch verdoppeln, ohne neue Flächen zu brauchen. Wir haben diese Technologie dazu hier entwickelt, und wir könnten sie sofort einsetzen.

Brasilien ist der siebtgrößte Produzent von CO2-Emissionen. Wie liegen die brasilianischen Emissionen den im internationalen Vergleich?

Azevedo: Die Emissionen pro Kopf von 10 Tonnen pro Jahr sind höher als der weltweite Durchschnitt. Aber geringer als die der USA oder aller europäischer Länder. Die liegen bei 18 - 20 Tonnen. Aber wir liegen höher als die Chinesen, die bei 6 Tonnen liegen.

Auffällig ist, dass wir für unser Wirtschaftswachstum rund 40 Prozent mehr Emissionen ausstoßen als der weltweite Durchschnitt. Das liegt aber daran, dass bei uns die Landwirtschaft eine so große Rolle spielt. Wir stoßen also mehr Emissionen aus für unseren Reichtum als andere Nationen.

Gerät Brasilien deshalb bei der COP23 in die Defensive?

Azevedo: Brasilien ist bei den Klimakonferenzen niemals in der Defensive. In den letzten Jahren hat Brasilien sehr viel geleistet, hat mehr Emissionen gekürzt als jemals irgend ein anderes Land der Welt. Dadurch hat man immer gute Argumente, und niemand kann sagen, dass wir das Problem sind. Andere Länder haben mehr Probleme - USA, China. Trotz aller Kritik, die auch wir üben, ist Brasilien im internationalen Vergleich also niemals in der Defensive.

Aber Brasilien ist auch keine treibende Kraft mehr, um die Debatte anzuführen. Bis 2010 waren wir ein Protagonist, haben wir Lösungen vorgeschlagen. Aber wir bringen längst keine neuen Ideen mehr ein. Aber unsere Diplomaten, die wirklich außergewöhnlich gut sind, werden wieder entscheidend bei den Verhandlungen helfen.

Allerdings ist die Regierung von Präsident Michel Temer im Ausland zuletzt durch Versuche aufgefallen, den Umweltschutz und die Rechte indigener Völker einzuschränken. Das kommt internationale nicht so gut an, oder?

Azevedo: Wir erleben gerade den bittersten Moment unserer Politik seit der Verfassung von 1988. Umweltschutz ist gar kein Thema mehr, es ist unwichtig geworden für den Präsidenten. Seine Minister haben auch nichts für die Umwelt übrig, im Gegenteil, sie tauschen die Umwelt in ihren Kuhhandeln gegen andere Sachen ein.

Und auch die momentane Situation im Kongress ist fürchterlich, dort hat die Agrar-Fraktion sehr großen Einfluss. Sie kann ihren Willen auf die Agenda setzen, können dem Präsidenten und den Parlamentspräsidenten ihren Willen diktieren. Das ist ein schwieriger Moment mit sehr vielen Rückschritten.

Interview und Foto: Thomas Milz

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