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Brasilien diskutiert über Waffenfreigabe

Nach den Schüssen an einer Schule im Bundesland São Paulo soll das Tragen von Waffen im öffentlichen Raum deutlich erleichtert werden. Auch die Strafmündigkeit von Jugendlichen soll früher als bisher möglich werden.

Trauer nach dem Amoklauf (Foto: picture-alliance/dpa)

"Eine grenzenlose Gräueltat und Feigheit. Möge Gott die Herzen aller trösten!", schrieb Präsident Jair Messias Bolsonaro auf Twitter. An einer Schule in Suzano im südöstlichen Bundesland São Paulo hatten zwei ehemalige Schüler, 17 und 25 Jahre alt, am Mittwochmorgen acht Menschen erschossen. Zuvor hatten sie bereits den Onkel eines der beiden Täter ermordet. Als die Polizei am Tatort eintraf, tötete der mit einem Revolver bewaffnete Jugendliche erst seinen Komplizen, dann sich selbst.

Die Tat feuerte die Diskussion um die Freigabe von Schusswaffen in Brasilien an. "Hätte es einen Bürger mit einer legalen Waffe in der Schule gegeben, einen Lehrer, Angestellten oder einen pensionierten Polizisten, hätte er das Ausmaß dieser Tragödie verringern können", kommentierte der Senator Major Olímpio von Bolsonaros Partei PSL. "Lasst uns, ganz ohne Heuchelei, die Toten beweinen. Und darüber diskutieren, wie mangelhaft unsere Gesetzgebung ist."

Die Freigabe von Schusswaffen war ein Kernversprechen von Bolsonaros Wahlkampagne. Damit könnten "gute Bürger" sich und andere vor "bösen Bürgern" beschützen. Im Januar hatte der Präsident, dessen Markenzeichen die zu einem Revolver gespreizten Finger sind, per Dekret den Erwerb eines Waffenscheins erleichtert. Demnächst soll per Gesetz auch das Tragen von Waffen im öffentlichen Raum erleichtert werden.

"Waffen dienen auch zur Verteidigung"

"Waffen dienen ja nicht bloß zum Töten, sondern auch zur Verteidigung", sagte der Präsidentensohn und Abgeordnete Eduardo Bolsonaro nach dem Amoklauf. "Wenn Du eine Waffe zeigst, kannst Du einen Raub oder Schlimmeres wie Tote verhindern. Allerdings werden diese Fälle nirgends statistisch erfasst." Wie sein Vater und seine Brüder ist auch Eduardo ein bekennender Waffennarr und Fan der Waffengesetze in den USA. "Wo ist es sicherer, in Brasilien oder in den USA?", fragte er 2017 in einem Tweet.

"Die Theorie des 'good guy with a gun', die immer wieder in der Narrative der Waffenlobby-Organisation National Rifle Association (NRA) in den USA auftaucht, ist nicht durch Zahlen unterfüttert. Es gibt keine Zahlen, die beweisen, dass eine erhöhte Anzahl bewaffneter Personen Massaker wie das von Suzano verhindern könnten", sagt Michele Gonçalves dos Ramos, Beraterin der NGO "Instituto Igarapé", gegenüber der DW. Die NGO aus Rio de Janeiro hat sich auf den Bereich öffentliche Sicherheit spezialisiert. Untersuchungen des US-amerikanischen FBI hätten ergeben, dass in 160 zwischen 2001 und 2013 erfolgten Angriffen von Amokschützen lediglich fünf Aktionen durch bewaffnete "gute Bürger" gestoppt werden konnten, so Ramos. "In 21 Fällen konnten jedoch unbewaffnete Bürger den Schützen abschrecken."

Generell bedeuteten mehr Waffen nicht mehr Sicherheit, glaubt sie. "Es ist wichtig klarzustellen, dass alle wissenschaftlichen Erkenntnisse dafür sprechen, dass mehr Waffen im Umlauf die Zahl von Morden, Frauenmorden und Selbstmorden erhöht." Stattdessen forderte sie, den illegalen Waffenhandel stärker zu bekämpfen. Dazu gehöre eine verbesserte Registrierung der im Umlauf befindlichen Waffen sowie die Integration der bereits bestehenden Datenbanken über Waffen und ihre Besitzer.

Strafmündigkeit heruntersetzen

Die Soziologin Julita Tannuri Lemgruber glaubt, dass der Amoklauf Auswirkungen Strafmündigkeitsalter bei Jugendlichen haben wird. Eine entsprechende Initiative sei im Abgeordnetenhaus bereits weit vorangeschritten. "Und dieser aktuelle Vorfall kann die Abstimmung der Initiative beschleunigen", so Lemgruber gegenüber der DW.

Der Präsidentensohn und Senator Flávio Bolsonaro verteidigte die Altersabsenkung. "Noch eine durch einen Minderjährigen verursachte Tragödie, die zeigt, dass die unglückliche aktuelle Waffengesetzgebung nicht funktioniert", twitterte er am Mittwoch. Im Wahlkampf hatte Vater Bolsonaro die Absenkung versprochen. Zuletzt sprach er davon, die Strafmündigkeit von derzeit 18 auf 17 oder 16 Jahre zu verändern.

Major Olimpio, Verfasser einer Gesetzesinitiative, die die Festnahme von Jugendlichen ab dem 12. Lebensjahr erleichtert, mahnte zu schnellem Handeln. "Dringend müssen wir unsere Politik der öffentlichen Sicherheit ändern. Denn Banditen kennen kein Alter, und diese Tragödie bestätigt noch einmal, dass wir sofort die Strafmündigkeit absenken müssen."

Umdenken der Gesellschaft

Lemgruber kritisiert derweil die in Brasilien grassierende Verrücktheit nach Waffen. "Dieser Fall ist emblematisch. Das waren Jungs, die sich Webseiten von Waffennarren anschauten. Und das Ganze wird noch durch Bolsonaros Einstellung verstärkt." Sie erinnert daran, dass die NRA für die Wahlkampagne von Donald Trump gespendet hatte. "Hier in Brasilien wird Bolsonaro derweil von Taurus unterstützt", so Lemgruber in Anspielung auf den brasilianischen Waffenproduzenten. "Das wird dazu führen, dass das Szenario in Zukunft noch düsterer wird."

Auch Ramos fordert ein generelles Umdenken. "In einem Land mit enormen Herausforderungen durch Gewalt und fehlende Sicherheit müssen wir auch über Diskurse voll Hass reden, über Intoleranz und über die Assoziation zwischen Männlichkeit und Gewalt", so die Beraterin von Igarapé. "Ein für alle sicheres Land kann nicht auf der Logik des Kampfes der einen gegen die anderen errichtet werden."

Autor: Thomas Milz, Deutsche Welle

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