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Brasilien: Bolsonaros letzte Bastion

Trotz Corona-Missmanagement und schwerer Korruptionsvorwürfe halten eingefleischte Anhänger weiter zu Brasiliens rechtspopulistischem Präsidenten Jair Bolsonaro. Doch für sein politisches Überleben wird es knapp.

picture-alliance/dpa/F. Vieira

Brasilien ächzt unter der Corona-Pandemie, doch Anhängern des rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro scheint das egal zu sein. Die Zahl der Infektionen wächst und die Gesundheitssysteme mancher Städte sind schon überlastet, weshalb die Gouverneure der Bundesstaaten entsprechende Schutzmaßnahmen verfügen - aber fanatische Bolsonaro-Gefolgsleute protestieren dagegen. Am vergangenen Wochenende haben sie ein Eingreifen der Streitkräfte gefordert. In der Hauptstadt Brasilia sollen sie Journalisten angegriffen haben, so Medienberichte. Ein Bolsonaro-Unterstützer wurde bei einer Gedenkaktion von Mitarbeitern des Gesundheitswesens handgreiflich.

Diese Aktionen rufen im In- und Ausland Kopfschütteln hervor - aber nicht nur, weil Bolsonaro und seine Fans das Coronavirus verharmlosen. Sondern auch, weil dem Präsidenten Ermittlungen drohen, die zu einem Amtsenthebungsverfahren führen könnten. Bolsonaros eigener ehemaliger Justizminister, der prominente Bundesrichter Sergio Moro, beschuldigt den Präsidenten, er habe versucht, illegal auf die Bundespolizei Einfluss zu nehmen, als er deren Chef durch einen Günstling ersetzen wollte. Das wiederum hat mit Ermittlungen gegen Bolsonaro und seine Familie zu tun, unter anderem im Zusammenhang mit dem Mord an der linken Lokalpolitikerin Marielle Franco in Rio de Janeiro vor zwei Jahren.

Mitten in der Corona-Krise stürzt Brasilien ins politische Chaos. Und es wirkt so, als stünden trotz der Skandale um Bolsonaro noch viele Menschen hinter dem rassistischen, homophoben und sexistischen Politiker, der aus seinen Sympathien für die ehemalige Militärdiktatur in Brasilien keinen Hehl macht.

Zustimmungswerte im Keller

Tatsächlich trügt die derzeit starke mediale Präsenz radikaler sogenannter Bolsonaristas. Von den knapp 58 Millionen Brasilianern, die in der Stichwahl 2018 Bolsonaro dem Linken-Politiker Fernando Haddad vorzogen, wenden sich immer mehr von dem Präsidenten ab. Nachdem Justizminister Sergio Moro am 24. April seinen Rücktritt bekanntgab, sanken Bolsonaros Zustimmungswerte auf einen Tiefststand von 27 Prozent, so das Meinungsforschungsinstitut XP/Ipespe. Dagegen lehnten 49 Prozent der Befragten Bolsonaros Ansichten und Politik ab. Zum Vergleich: Kurz nach seinem Amtsantritt im Januar 2019 war er mit 40 Prozent Zustimmung gegenüber 20 Prozent Ablehnung noch deutlich beliebter.

Den Abwärtstrend bestätigt auch Soziologin Esther Solano, Professorin an der Universität Sao Paulo (USP). Allerdings müsse man Bolsonaros Anhängerschaft differenziert betrachten: "Wir gehen davon aus, dass 15 bis 20 Prozent davon treue, teils radikalisierte Anhänger sind, die sich auch in der derzeitigen Krise nicht vom Präsidenten abwenden - im Gegenteil."

Dabei handle es sich meist um weiße Männer der Mittelklasse. Sie folgten Bolsonaros Rhetorik, dass Corona medial aufgebauscht werde und Quarantäne-Maßnahmen für große Teile der Bevölkerung nicht notwendig seien. Ex-Justizminister Moro sei in ihren Augen ein Lügner aus der linken Ecke, der sich mit seinen Vorwürfen gegen Bolsonaro nur selbst profilieren wolle, analysiert Solano.

Kampf gegen Korruption verliert Glaubwürdigkeit

Gustavo Ruiz De Conti aus dem Bundesstaat Sao Paulo ist so ein Anhänger des Präsidenten. Auch wenn er selbst nicht an Protesten teilnimmt, zählt er sich zu den Bolsonaristas. Und die öffentlichen Aktionen anderer Anhänger findet er nicht verwerflich. Sie seien "frustrierte Bürger, die es satt haben, dass sich der Oberste Gerichtshof ständig in die Exekutive einmischt" und dass Gouverneure mit "diktatorischen Maßnahmen" Bürgern ihre Bewegungsfreiheit nähmen.

Die eingefleischten Bolsonaro-Anhänger scheinen - auch angeheizt durch den immer radikaleren Diskurs ihres Vorbildes - ihre Meinung sogar noch zu verfestigen. Gleichzeitig bröckele jedoch die "eher moderate" Bolsonaro-Gefolgschaft, so Wissenschaftlerin Solano. "In dieser Gruppe gibt es auch viele mit geringerem Einkommen. Die sind bereits kritischer gegenüber einer Regierung geworden, die im vergangenen Jahr Einsparungen im Rentensystem beschlossenen hat."

Und nun, in der Corona-Krise, fürchteten viele einen Kollaps des brasilianischen Gesundheitssystems - und reagieren dementsprechend mit Unverständnis auf Bolsonaros Forderungen, die Beschränkungen zu beenden.

Der Rücktritt Moros und die Skandale der vergangenen Monate stellen zudem das infrage, was noch 2018 für viele der ausschlaggebende Grund war, den Rechtspopulisten zu wählen: Sein angeblicher Kampf gegen Korruption. Für Bolsonaro-Wähler De Conti zählt das Argument allerdings immer noch: "Ich hatte irgendwann genug davon zuzusehen, wie öffentliche Gelder abgezwackt wurden, zum Beispiel im Petrobras-Skandal oder beim Bau der WM- und Olympiastadien."

Bolsonaros Bollwerk: Evangelikale Freikirchen

Einen wichtigen Platz nehmen in dieser Gemengelage nach wie vor die Evangelikalen ein - sowohl bei den moderaten als auch bei den hartgesottenen Bolsonaro-Anhängern. Die Freikirchen sind in Brasilien sehr mächtig, und ihre Mitglieder teilen die Meinung des religiösen Präsidenten zum Thema Abtreibung, Homosexualität oder Familie. Viele von ihnen folgen der politischen Meinung der Geistlichen ihrer Gemeinde oder des Kirchenfernsehens. Und diese Prediger stellen meistens - im Gleichklang mit Bolsonaro - die Ausgangsbeschränkungen als übertriebene Maßnahme dar, die mehr Schaden als Nutzen anrichte. Der religiöse Medienunternehmer, Kirchenbesitzer und Milliardär Edir Macedo etwa bezeichnete die Ausbreitung des Coronavirus als "Strategie des Satans und der Presse".

Doch auch in den evangelikalen Kirchen wenden sich einige Mitglieder bereits von Bolsonaro ab. Was dem Präsidenten in der Corona- und Regierungskrise an Anhängern bleibt, ist so etwas wie seine letzte Bastion gegen den eigenen Niedergang. Denn auf institutioneller Ebene hat der mittlerweile parteilose Staatschef bereits jegliche Unterstützung verloren, mit den Medien steht er ebenfalls auf Kriegsfuß und sogar das Militär scheint nicht mehr so geschlossen hinter ihm zu stehen, wie es das bei seinem Amtsantritt tat.

Esther Solano glaubt, dem isolierten Präsidenten könnten noch mehr Unterstützer davonlaufen: "Die Corona-Krise ist in Brasilien noch nicht auf ihrem Höhepunkt angelangt. Und Moro hat noch keine stichfesten Beweise für seine Anschuldigungen vorgelegt. Wenn sich das beides ändert, könnten Bolsonaros Zustimmungswerte weiter abstürzen."

Ines Eisele, Quelle: Deutsche Welle

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