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Bolsonaros Waffendekret enttäuscht Freunde und Feinde

Beschlagnahmte Waffen in Rio de Janeiro, Brasilien. Adveniat

Bekommen bewaffnete Polizisten bei der Jagd auf Verbrecher nun Konkurrenz von bewaffneten Bürgern? Foto (Symbolbild: beschlagnahmte Waffen): Adveniat/Achim Pohl

"Die Waffenfreunde hatten auf eine generelle Freigabe gehofft. Aber bisher hat der Präsident nur erreicht, dass alle enttäuscht sind", sagt Milena Risso von der NGO "Instituto Igarapé" gegenüber der DW. Die Organisation ist ein brasilianischer Think Tank für Fragen der öffentlichen Sicherheit. Das am Dienstag erlassene Waffen-Dekret behält weitestgehend die bisher gültigen Kriterien zum Waffenerwerb bei. "Der Präsident dreht lediglich an den Regeln, die nicht von der Zustimmung des Kongresses abhängen", so Risso. Die generelle Freigabe des Erwerbs sowie des Tragens von Waffen im öffentlichen Raum, gefürchtet unter der Zivilgesellschaft und ersehnt von den Waffenfreunden, könne jedoch nur vom Kongress beschlossen werden.

Was ist eigentlich neu?

Die Kernpunkte des Dekrets: Wer eine Waffe erwerben will, muss weiterhin mindestens 25 Jahre alt sein, darf nicht vorbestraft sein und muss einen Schießkurs sowie einen Eignungstest absolvieren. Neu ist, dass Anwärter nicht mehr nachweisen müssen, wofür sie die Waffe brauchen. Bisher entschied die Bundespolizei, ob der Antragsteller tatsächlich die Notwendigkeit hatte, eine Waffe zu besitzen. Die von der Arbeiterpartei PT angeführte Regierung hatte dieses Kriterium 2005 eingeführt und laut Bolsonaro damit den Erwerb des Waffenscheins praktisch unmöglich gemacht. "Das große Problem der Gesetzgebung war bisher, die tatsächliche Notwendigkeit des Waffenbesitzes zu beweisen. Das hing von der subjektiven Einschätzung jedes Beamten ab", erläterte Bolsonaro am Dienstag vor der Presse. Damit sei jetzt Schluss. "Seit langem beschweren sich die Waffenlobby und die Leute, die Waffen kaufen wollen, darüber, dass die Bundespolizei freie Hand hatte zu definieren, für wen eine Waffe nötig ist und für wen nicht", so Risso. "Dieses Dekret definiert dieses Element besser."

Aufbewahrung im Safe

Justizminister Sérgio Moro – der als Untersuchungsrichter bei der "Operation Waschstraße", der größte Korruptionsskandal Lateinamerikas, berühmt wurde – hat neue Kriterien erarbeitet. So muss die Waffe an einem sicheren Ort, möglichst einem Safe, aufbewahrt werden. Zudem ist der Erwerb in Städten an die lokale Mordrate geknüpft. Diese muss bei über 10 Morden pro 100.000 Einwohner liegen, eine Auflage, die von den meisten brasilianischen Städten erfüllt wird. Fernando Humberto H. Fernandes hält die Verknüpfung trotzdem für verfassungswidrig. Auch den Safe mag er nicht. "Sie wollen, dass man einen Safe für die Waffe daheim hat – was für ein Blödsinn!", sagt der Präsident der "Confederação de tiro e caça do Brasil" (CTCB), dem brasilianischen Schieß- und Jagdverband, gegenüber der DW. "Sérgio Moro versteht nichts von Waffen", resümiert er.

Fernandes kennt den Präsidenten aus gemeinsamen Zeiten beim Militär. Im Wahlkampf trommelte man für Bolsonaro, damit die "guten Brasilianer" endlich bewaffnet herumlaufen und den Gangstern auf den Straßen Paroli bieten könnten. Zuletzt hatte Fernandes aber Mahnungen an die Twitter und Facebook-Accounts von Bolsonaro geschickt. Der Präsident laufe Gefahr, zu Beginn seines Mandats seine Wähler zu enttäuschen. "Er hat die Freigabe der Waffen versprochen – also Erleichterung beim Kauf. Wir wollen das gleiche Recht auf Pistolen und Gewehre haben wie die Leute in Argentinien, Paraguay oder Europa", fordert Fernandes. Insbesondere in Paraguay ist der Zugang zu Waffen besonders locker.

Waffen "made in Brasil"

Die Realität sieht anders aus. Einen Schießschein zu erwerben, können sich nur betuchte Bürger leisten. Zudem ist der Waffenmarkt derart streng reglementiert, dass nahezu nur Waffen aus brasilianischer Produktion zu erwerben sind. Den Import günstiger und qualitativ besserer Waffen verhindere das Militär, klagt Fernandes. "Die Militärs haben Angst davor, dass sich das eigene Volk bewaffnet." Der starke Einfluss der Militärs im Kabinett – sieben von 22 Ministern plus der Vize-Präsident Hamilton Mourão – könnte verhindern, dass Bolsonaro sein Versprechen zur allgemeinen Freigabe von Schusswaffen erfüllt, fürchtet Fernandes. Dabei sei dies die einzige Möglichkeit, der explodierenden Gewalt Herr zu werden. "Man kann einen schlechten Menschen mit einer Waffe in der Hand nur durch einen guten Menschen mit einer Waffe in der Hand stoppen", so Fernandes, der dabei ein bekanntes Argument der amerikanischen Waffenlobby NRA verwendet. "Wir brauchen bewaffnete Leute auf den Straßen".

Widerspruch zu Statistiken

Für Milena Risso vom "Instituto Igarapá" ist es jedoch erwiesen, dass nicht mehr, sondern weniger Waffen die Lösung sind. "Die Verschärfung des Zugangs zu Schusswaffen in São Paulo hat so in der Vergangenheit zu einem Rückgang der Mordrate von rund dreißig Prozent geführt." Ähnliches sei auch landesweit zu erreichen, glaubt sie. Zudem spricht sich Risso für eine verbesserte Kontrolle der bereits im Umlauf befindlichen Waffen aus. Obwohl es hier immer wieder Initiativen des Gesetzgebers und der Regierung gab, gebe es keine übergreifende Datenbank über sämtliche im Umlauf befindlichen Waffen. "In diesen waffenstarrenden Zeiten hat man sich nicht um die wichtigste Frage gekümmert: wie schaffen wir es, endlich Kontrollmechanismen einzuführen? Nur das wird uns die Möglichkeit geben, das organisierte Verbrechen tatsächlich zu bekämpfen."

Quelle: Deutsche Welle, Autor: Thomas Milz

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