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Argentinien droht die neunte Pleite

Früher hieß es "reich wie ein Argentinier". Das südamerikanische Land war einer der wohlhabendsten Staaten der Welt. Heute ist es arm wie eine Kirchenmaus und kämpft mit der Pleite. Chronik eines beispiellosen Absturzes.

Gewerkschaften in Argentinien protestieren gegen die hohe Staatsverschuldung. Foto: Picture-Allianz

Weltmacht hin oder her - in einem sind sich die Ökonomen Ende des 19. Jahrhunderts einig: Das "Silberland" steht vor einer goldenen Zukunft. "Reich wie ein Argentinier" ist damals eine gängige Redewendung. Eine andere "Argentina potencia", die noch heute, über ein Jahrhundert später, jeder Argentinier kennt: der Mythos eines Landes, das zu ganz Großem berufen ist.

Ein Land jedoch, das wie kein anderes Land auf dem Globus abstürzt. Es steigt aus der Spitzengruppe der Weltwirtschaft in einer beispiellosen Talfahrt nach ganz weit unten ab. Und wird zu einem Schwellenland, bei dem die Wirtschaftswissenschaftler heute nur noch die Augen verdrehen.

Reich, reicher, Argentinien

Bis Mitte des 20. Jahrhunderts ist das unvorstellbar: Während in Europa und später in der ganzen Welt zwei Weltkriege wüten, lässt es sich die argentinische Oberschicht gut gehen. Prächtige Villen und Fabriken werden gebaut, die Reichen legen sich edle Pferde zu und verbringen die Sommer in Paris, um die neueste Mode einzukaufen.

Die Wirtschaft wächst jährlich um fünf Prozent. Das Land mit dem weltweit höchsten Pro-Kopf-Einkommen, mit schier unendlichen Rohstoffen und Bodenschätzen wie Wasser, Gas und Öl, verdient ein Vermögen mit der Ausfuhr von Fleisch, Getreide und Leder ins krisengeschüttelte Europa. Die Nation mit dem heute achtgrößten Territorium der Erde, das alle Klimazonen beheimatet, gilt als Kornkammer mit idealen Bedingungen für die Landwirtschaft.

Der Peso ist Ende des Zweiten Weltkriegs neben dem Dollar und dem Pfund die härteste Währung der Welt. Argentinien ist das wohlhabendste und einflussreichste Land der Region, weit vor Brasilien, und Buenos Aires die elegante Hauptstadt Lateinamerikas, die "Reina de la Plata", wie sie vom großen Tangosänger Carlos Gardel besungen wird.

Und ein Ende des Booms ist nicht in Sicht: Argentinien ist ein Magnet für arbeitswillige Flüchtlinge vor allem aus Italien und Spanien, die ins gelobte Land fliehen, das Jobs und Wohlstand verspricht. Es gibt mehr Autos pro Kopf als in Frankreich und mehr Telefonleitungen als in Japan, die Metro rast durch den Untergrund von Buenos Aires. Noch in den Fünfzigerjahren ist das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen deutlich höher als in Deutschland.

Perón als wirtschaftlicher Totengräber

Doch hinter den glitzenden Fassaden hat der Niedergang schon längst begonnen. Dies hat sehr viel mit einem Politiker zu tun, der 1946 die Präsidentschaftswahlen gewinnt – und auf den sich zahlreiche seiner Nachfolger, sei es links, rechts oder moderat, in den nächsten Jahrzehnten stolz berufen werden: Juan Domingo Perón. Der frühere General verspricht Argentinien einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus, wirtschaftlich legt er den Grundstein für die Misere der nächsten Jahrzehnte.

Das Perónsche Grundprinzip, das von allen seinen Nachfolgern kopiert wird, lautet: über seine Verhältnisse leben und mehr ausgeben als einnehmen. Und wenn nichts mehr geht, Schulden machen, dann Geld drucken und schließlich die Inflation galoppieren lassen. Bis 1949 verdreifachen sich die Staatsausgaben, bis 1955 verdoppelt sich die Zahl der Staatsangestellten.

Seine Frau Evita, der"Engel der Armen", verprasst die fetten Erlöse aus dem Verkauf von Rindfleisch und Getreide: Soziale Wohltaten, für die Evita und Perón bis heute verehrt werden, sind nicht gegenfinanziert, die Korruption frisst sich in die Gesellschaft.

"Argentinien first" lautet das Motto: die schwache einheimische Industrie wird mit Zollschranken geschützt, höhere Löhne und Sozialleistungen werden gezahlt, so viel wie möglich soll in Argentinien selbst produziert werden. Gaswerke werden gekauft, ebenso Elektrizitätsgesellschaften oder auch das Fernsprechnetz. Eine riesige Zahl an ineffizienten Staatsbetrieben wird gegründet.

Militärdiktatur und Falklandkrieg

Doch nichts symbolisiert den ökonomischen Irrsinn von Perón so sehr wie der Kauf der maroden Eisenbahn von Großbritannien. 150 Millionen Pfund Sterling für teuren Schrott und ein vernachlässigtes und verfallenes 43.000 Kilometer langes Schienennetz. Feuerwerkskörper schießen in den Himmel, die Kirchenglocken läuten, überall schrillen Lokomotivpfeifen – das Desaster wird als nationaler Triumph gefeiert. Schon nach wenigen Jahren schlittert Argentinien in die erste tiefe Wirtschaftskrise.

1967 betragen die Auslandsschulden trotzdem erst acht Milliarden US-Dollar, doch dann steigt die Verschuldung massiv an: Verantwortlich dafür ist vor allem die argentinische Militärdiktatur von 1976 bis 1983 und der aberwitzige Falklandkrieg, den Argentinien 1982 krachend verliert und der die Junta die Macht kostet. Hyperinflation wird danach zum neuen Zauberwort in Argentinien, Präsident Raúl Alfonsín stolpert deswegen aus dem Amt.

Illusion vom starken Peso

Doch es kommt noch schlimmer: der neoliberale Peronist Carlos Menem läutet die "Pizza und Champagner"-Zeiten ein, eine Welle von Privatisierungen, deren Gewinne in dunklen Kanälen versickern. Der Teufel wird mit dem Beelzebub ausgetrieben, die Hyperinflation durch die 1:1-Parität des Peso mit dem US-Dollar ersetzt. Wie durch ein Wunder haben die Argentinier nun hohe Dollar-Guthaben, genießen ihren Urlaub in Miami und leisten sich Autos "made in Germany".

Menem kürzt die Sozialausgaben und reprivatisiert die Bahn (natürlich unter Wert), doch statt die Kopplung der Währung sukzessive herunterzufahren, hält er an dem überbewerteten Peso fest. Zwischen 1992 und 1999 steigen die Staatsausgaben um satte 50 Prozent. 2001 ist der Schuldenberg auf irrsinnige 160 Milliarden US-Dollar angewachsen, es kommt zum Staatsbankrott im Dezember 2001, in nur zwei Wochen geben sich fünf Präsidenten die Klinke in die Hand.

Argentinien hat sich seitdem nicht mehr erholt. Die Rezepte des Internationalen Weltwährungsfonds (IWF) richteten oft mehr Schaden als Nutzen an. Buenos Aires wurde allein gelassen von den Investoren, die wegen der fehlenden Rechtssicherheit zu oft abgeschreckt wurden.

Regiert von Präsidenten und Präsidentinnen, die finanzpolitisch immer das exakte Gegenteil von dem durchsetzen, was ihre Vorgänger gemacht haben. Und bewohnt von einem Volk, das den Staat oft nur als Melkkuh begreift, den es auszupressen gilt und dem man nichts schuldig ist.

Das Land, das eigentlich alles mitbringt, ein prosperierendes Land zu sein und das vor einem Jahrhundert in einem Atemzug mit den USA genannt wurde, hat heute unfassbare 323 Milliarden Dollar Schulden.

Autor: Oliver Pieper (Deutsche Welle

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