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Analyse: Bolivien - der Tigerstaat der Anden

Bolivien, El Alto, Grafitto, Evo Morales, Adveniat, Achim Pohl

"Bolivien ist MAS" steht auf der Wand. MAS ist die Abkürzung für "Movimiento al Socialismo", die Partei, die Evo Morales anführt. Foto: Adveniat/Achim Pohl

Die erneute Kandidatur des bolivianischen Präsidenten Evo Morales im kommenden Jahr hat sowohl national als auch international für heftige Kritik gesorgt. Zum zweiten Mal seit seinem Amtsantritt hat der Politiker die Verfassung ändern lassen, um länger Staatschef bleiben zu können. Außerdem setzte er sich über ein 2016 durchgeführtes Referendum zu eben jener Frage hinweg, das die Bevölkerung eindeutig mit Nein beantwortete.

Unterschiedliche Gruppierungen in dem Andenstaat sehen darin eine Gefährdung der Demokratie, und auch international befürchten viele Beobachter und Experten das Entstehen eines autoritären Staates, wie es beispielsweise in Nicaragua und Venezuela der Fall ist. Wovon jedoch nicht so häufig gesprochen wird, ist, dass es auch auch innerhalb der bolivianischen Bevölkerung breite Unterstützung für den ersten indigenen Staatschef Lateinamerikas gibt. Denn trotz großer Zweifel an dem teilweise staatlich gelenkten Wirtschaftssystem, hat es zahlreiche positive Veränderungen mit sich gebracht, die selten im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen.

Anhaltendes Wirtschaftswachstum

Evo Morales hat seit 2006 ein Wirtschaftssystem etabliert, das auf zwei Säulen basiert. Laut dem bolivianischen Wirtschaftsminister Luis Acre gibt es in Bolivien einen Wirtschaftszweig, der Überschüsse generiert, in welchem der Staat Hauptakteur ist. Diese Überschüsse setzen sich zusammen aus den Gewinnen im Bergbau, im Ölsektor sowie in der Elektroindustrie - sämtlich Bereiche, die hauptsächlich Rohstoffe exportieren. Der andere Zweig besteht aus den teilweise angegliederten Sektoren, die Arbeitsplätze schaffen. Dazu gehören die verarbeitende Industrie, die Landwirtschaft, das Baugewerbe sowie der Tourismus. Der Erfolg dieses Modells gibt der Regierung von Evo Morales Recht. Das volkswirtschaftliche Wachstum des südamerikanischen Landes liegt seit rund zehn Jahren bei rund vier Prozent und wird auch für die kommenden zwei Jahre in diesem Bereich prognostiziert. Damit gehört Bolivien zu den Ländern Lateinamerikas mit der höchsten Wachstumsrate. Im Zusammenhang mit der anhaltenden positiven ökonomischen Entwicklung konnten auch viele der sozialen Probleme eingedämmt werden.

Soziale Fortschritte

So ist die absolute Armutsrate in der letzten Dekade im Durchschnitt von 38 auf 18 Prozent gesunken und liegt heute im städtischen Bereich bei nur noch zehn Prozent. Als arm gelten demnach Personen, die mit weniger als zwei US-Dollar pro Tag auskommen müssen. Trotz dieser Erfolge zweifeln die Bretton-Woods-Institutionen - das sind die Weltbank und der Internationale Währungsfonds - an der Nachhaltigkeit dieses Erfolgs. „Der Wirtschaft geht es gut, das etablierte System ist aber mittelfristig unhaltbar“, heißt es beispielsweise im diesjährigen Bericht der Experten. Dabei sind mehr als zehn Jahre eine beachtliche Zeit. Währenddessen ist Argentinien zum Beispiel erneut in eine massive ökonomische Krise gestürzt, obwohl die Regierung von Präsident Mauricio Macri, die erst seit Dezember 2015 an der Macht ist, einen wirtschaftlichen Liberalisierungskurs verfolgt, den die Bretton-Woods-Institutionen befürworten und unterstützen.

Die Schwachstellen des Systems

Doch auch in Bolivien ist nicht alles Gold, was glänzt. Die hohen staatlichen Einnahmen sind abhängig von den Weltmarktpreisen für Rohstoffe und unterliegen daher starken Schwankungen. Sollten diese plötzlich fallen „ kehren die alten Übel von vor dem Wohlstand zurück: Ein hohes Haushaltsdefizit sowie ein Defizit im Außenhandel mit kurzfristigen Auswirkungen, wie etwa einer höheren Verschuldungsrate und steigender Kreditlast der nationalen Zentralbank (...)“, gibt der Ökonom Napoleón Pacheco zu bedenken. Darüber hinaus ist die Importrate in der letzten Dekade angestiegen und liegt derzeit bei ungefähr 24 Prozent. Einige Wirtschaftswissenschaftler diagnostizieren vor diesem Hintergrund die „holländische Krankheit“, die ein plötzliches Ansteigen der Kaufkraft bezeichnet, von der die nationale Produktion allerdings nicht profitieren kann, weil viele Produkte aus dem Ausland bezogen werden.

Hängt alles an Morales?

Ob sich die positive wirtschaftliche Entwicklung in Bolivien fortsetzt oder nicht, bleibt abzuwarten. Der Trend der vergangenen zehn Jahre erklärt allerdings, warum viele Bolivianer in Evo Morales eine Art Heilsbringer sehen. Dass Morales selbst an der Macht bleiben möchte, um unter anderem den von ihm eingeschlagenen wirtschaftlichen Kurs weiterzuverfolgen, ist nachvollziehbar und trotzdem schwierig. Das etablierte Wirtschaftsmodell sollte nicht an ihm als Person hängen. Tatsächliche Größe würde er beweisen, wenn er seine Politik an einen Nachfolger übergäbe, der sie in seinem Sinne fortführt. Spätestens 2019, wenn ein neuer Präsident gewählt wird, wird sich zeigen, ob es sich rächt, dass Morales unter Missachtung eines Referendums am Amt festhält.

Autorin: Anna-Maria Jeske

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